Sozialrecht

Kunsthaarperücke bei vorübergehendem Haarverlust reicht

Zuletzt bearbeitet am: 24.10.2023

Schleswig (jur). Frauen können wegen eines vorübergehenden Haarverlustes infolge einer Chemotherapie regelmäßig keine Echthaarvollperücke auf Krankenkassenkosten verlangen. Auch wenn Kahlköpfigkeit bei Frauen eine entstellende Wirkung hat und die gesetzliche Krankenkasse damit zur Kostenübernahme eines Haarersatzes verpflichtet ist, besteht damit noch kein Anspruch auf eine Echthaarperücke, entschied das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) in Schleswig in einem am Dienstag, 17. Oktober 2023, veröffentlichten Urteil (Az.: L 10 KR 44/21). 

Mit Blick auf das von den Krankenkassen einzuhaltende Wirtschaftlichkeitsgebot sei bei einem vorübergehenden Haarverlust ein Haarersatz aus Kunsthaar ausreichend. 

Im konkreten Fall musste die Klägerin sich wegen einer Brustkrebserkrankung einer Chemo- sowie einer Strahlentherapie unterziehen. Infolge der Behandlung verlor sie vorübergehend ihr Haar. Von ihrer Krankenkasse verlangte sie im März 2018 die Kostenerstattung für eine angeschaffte Echthaarperücke. 

Die Krankenkasse lehnte ab und erstattete lediglich die Kosten, die bei einer Kunsthaarperücke angefallen wären, hier 394,60 Euro. 

Die Versicherte machte gerichtlich weitere 529,55 Euro für die Versorgung mit Zweithaar geltend. 

Das LSG wies mit Urteil vom 25. Juli 2023 die Klägerin ab. Allerdings habe ein Totalverlust der Haare bei Frauen wegen der entstellenden Wirkung Krankheitswert, so dass ein Anspruch auf Haarersatz bestehe. 

Die Schweriner Richter verwiesen unter anderem auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. April 2015 (Az.: B 3 KR 3/14 R; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Die Kasseler Richter hatten damals die Kostenerstattung für eine Perücke bei einem Mann abgelehnt, da die meisten Männer aus biologischen Gründen im Laufe ihres Lebens ganz oder teilweise ihre Haare verlören und dies normal sei. Bei Frauen sei dies aber anders. Haarverlust werde bei ihnen als entstellend und mit Krankheitswert angesehen, was eine Kostenerstattungspflicht der Krankenkasse begründe. 

Bei der Klägerin liege jedoch nur ein vorübergehender Haarverlust vor. Nach Auskunft des Deutschen Krebsforschungszentrums und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe würde das Haarwachstum bei Männern und Frauen nach Ende der Chemotherapie etwa nach drei bis sechs Monaten wieder einsetzen. 

Wegen des nur vorübergehenden Haarverlustes sei der Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen der Haarersatz aus Kunsthaar zumutbar. Ein Anspruch auf eine Echthaarperücke könne allenfalls dann bestehen, wenn das Kunsthaar zu Hauterkrankungen führt. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Allein Schwitzen könne diesen Anspruch nicht begründen, so das LSG. 

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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