In einem wegweisenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 23. Oktober 2024 wurde festgestellt, dass bereits ein geringfügiges Überschreiten der höchsten tariflichen Vergütung ausreicht, um den Status als außertariflicher Angestellter zu rechtfertigen (Az. 5 AZR 82/24). Diese Entscheidung hat wichtige Implikationen für die Arbeitsrechtpraxis und unterstreicht die Bedeutung der Tarifautonomie.
Hintergrund des Falls
Der Fall betraf einen Entwicklungsingenieur, der seit 2013 bei einem Unternehmen angestellt war und dessen Gehalt als "außertariflich" eingestuft wurde. Seine Vergütung von 8.212 Euro monatlich lag nur minimal über der höchsten tariflichen Vergütung von 8.210,64 Euro, die für eine 40-Stunden-Woche galt. Der Kläger, ein IG Metall-Mitglied, forderte einen Vergütungsabstand von mindestens 23,45 %, was einem Gehalt von 10.136,03 Euro entsprochen hätte, und verlangte eine entsprechende Nachzahlung für die Monate Juni 2022 bis Februar 2023.
Entscheidungsgründe des BAG
Das BAG wies die Klage ab und bestätigte, dass die materiellen Arbeitsbedingungen eines außertariflichen Angestellten "regelmäßig" die der höchsten tariflichen Entgeltgruppe überschreiten müssen. Für eine spezifische prozentuale Differenz benötigt es eine ausdrückliche Festlegung im Tarifvertrag. In Ermangelung einer solchen Bestimmung ist jedes, auch nur geringfügige Überschreiten der tariflichen Vergütung ausreichend.
Diese Interpretation stützt sich auf die von Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes garantierte Tarifautonomie, welche die Unabhängigkeit der Tarifvertragsparteien schützt und ein gerichtliches "Nachbessern" der Tarifbestimmungen verbietet.
Bedeutung und Auswirkungen
Das Urteil des BAG verdeutlicht die Notwendigkeit klarer Formulierungen in Tarifverträgen. Es unterstreicht, dass außertarifliche Angestellte bereits durch ein minimal höheres Gehalt als das der höchsten tariflichen Entgeltgruppe als solche zu klassifizieren sind. Zudem verweist es auf die Grenzen der Gerichte, tarifvertragliche Regelungen zu modifizieren – eine klare Richtlinie, die sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern Rechtssicherheit bietet.
Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis:
- Flexibilität für Arbeitgeber: Arbeitgeber können Angestellte bereits bei geringfügiger Überschreitung der höchsten tariflichen Vergütung als außertariflich einstufen.
- Klarheit für Arbeitnehmer: Arbeitnehmer wissen nun, dass sie bereits bei minimaler Überschreitung der höchsten Tarifgruppe als außertariflich gelten können.
- Stärkung der Tarifautonomie: Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der Tarifautonomie und die Zurückhaltung der Gerichte bei der Interpretation von Tarifverträgen.
Praxis-Tipp
Das Urteil bedeutet, dass Unternehmen und Gewerkschaften darauf achten sollten, ihre Tarifverträge hinsichtlich der Kriterien für außertarifliche Angestellte präzise zu gestalten. Nur explizite und klare Vorgaben im Tarifvertrag ermöglichen es, andere als die vom Gericht bestätigten Interpretationen anzuwenden. In Zweifelsfällen kann es hilfreich sein, den Rat eines Fachanwalts für Arbeitsrecht einzuholen, um rechtliche Klarheit und Sicherheit zu erhalten.
Exkurs
Tarifautonomie
Die Tarifautonomie ermöglicht es den Tarifparteien, diese Manteltarifverträge ohne staatliche Einmischung auszuhandeln. Dies fördert branchenspezifische Lösungen, die sowohl die Interessen der Arbeitnehmer als auch die wirtschaftliche Situation der Unternehmen berücksichtigen.
Außertarifliche Angestellte
AT-Angestellte sind Arbeitnehmer, die außerhalb der üblichen tariflichen Regelungen beschäftigt sind. Sie genießen oft mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit, müssen aber auch mit weniger tarifvertraglichen Schutzbestimmungen rechnen
Zusammenfassung
Dieses Urteil stärkt die Tarifautonomie und fördert eine deutliche Linie bei der Festlegung und Interpretation tariflicher Regelungen. Es dient somit nicht nur der Rechtssicherheit, sondern auch der Klarheit in den Arbeitsverhältnissen zwischen Arbeitgebern und Angestellten. Unternehmen sind angehalten, ihre Vertragsbedingungen genau zu prüfen und sicherzustellen, dass sie den tariflichen Bestimmungen und der jüngsten Rechtsprechung entsprechen.
Die Entscheidung des BAG vom 23. Oktober 2024 ist somit ein entscheidender Punkt in der Arbeitsrechtslage und wird voraussichtlich langfristige Auswirkungen auf die Gestaltung von Arbeitsverträgen und die Anwendung tariflicher Regelungen haben.
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