Karlsruhe (jur). Die Offenbarungspflichten beim Verkauf einer Immobilie sind durch die Übergabe von Dateien oder einem Ordner nicht automatisch erfüllt. Erst recht gilt dies, wenn Dateien in einem Datenraum zur Einsicht bereitgestellt werden, urteilte am Freitag, 15. September 2023, der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe (Az.: V ZR 77/22). Erforderlich ist danach, dass die Verkäuferin „die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird“.
Im entschiedenen Fall hatten die Karlsruher Richter daran Zweifel. Verkauft wurden mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex in Niedersachsen für gut 1,5 Millionen Euro. Laut Kaufvertrag hatte die Eigentümerversammlung keine Beschlüsse gefasst, die zu nennenswerten zusätzlichen Umlagen führen würden.
Zweieinhalb Jahre vor dem Verkauf hatte die Eigentümerversammlung allerdings über einen erheblichen Sanierungsstau diskutiert. Es war beschlossen worden, die frühere Mehrheitseigentümerin deswegen auf 50 Millionen Euro in Anspruch zu nehmen. Eine Eigentümerin hatte allerdings darauf bestanden, parallel dennoch eine Sonderumlage zu erheben. Hierüber kam es zu einem Vergleich. Danach wurden zunächst 750.000 Euro umgelegt, bei Bedarf sollte dies aber auf bis zu 50 Millionen Euro erhöht werden können.
Das Protokoll zu dieser Eigentümerversammlung lud die Verkäuferin am Freitag, 22. März 2019, in den Datenraum hoch. Der Kaufvertrag wurde am darauffolgenden Montagvormittag, 25. März 2019, vor dem Notar unterschrieben.
Die Käuferin hatte das Protokoll über das Wochenende nicht mehr gelesen. Wegen arglistiger Täuschung fordert sie eine Rückabwicklung des Kaufvertrags.
Landgericht Hildesheim und Oberlandesgericht (OLG) Celle wiesen ihre Klage ab. Der BGH hob diese Urteile nun jedoch auf und verwies den Streit zur erneuten Prüfung an das OLG zurück.
Dabei stellten die Karlsruher Richter zunächst klar, dass „die Verkäuferin die Klägerin auch ungefragt darüber aufklären (musste), dass bauliche Maßnahmen an dem Kaufobjekt mit einem Kostenumfang von 50 Mio. Euro ausstanden“. Dass dies vorrangig von der früheren Mehrheitseigentümer bezahlt werden sollte und eine Sonderumlage in dieser Höhe daher noch nicht beschlossen war, ändere daran nichts.
Verzichtbar sei die Aufklärung nur bei Mängeln, die „ins Auge springen“ oder Unterlagen, bei denen die berechtigte Erwartung besteht, dass die Käuferin sie liest. Das gelte etwa für ein im Zusammenhang mit dem Verkauf vorgelegtes Gutachten. Bei anderen schriftlichen Unterlagen sei dies dagegen nicht automatisch der Fall.
„Im vorliegenden Fall konnte die Verkäuferin nicht die berechtigte Erwartung haben, dass die Klägerin die in dem Protokoll enthaltenen Informationen noch vor Vertragsschluss zur Kenntnis nimmt“, betonte der BGH. Die Verkäuferin habe das Protokoll erst kurz vor dem Notartermin in den Datenraum hochgeladen, ohne die Käuferin darüber zu informieren. Ohne einen Hinweis habe die Käuferin aber keinen Anlass gehabt, über das Wochenende nochmals in den Datenraum zu schauen.
Für ein abschließendes Urteil fehlten dem BGH allerdings noch Feststellungen. So hatte die Verkäuferin behauptet, die relevanten unterlagen einschließlich des Protokolls schon früher in Papierform übergeben zu haben. Dem muss nun das OLG Celle noch nachgehen.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock