Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat am 6. August 2024 eine wichtige Entscheidung in Bezug auf die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats getroffen (Aktenzeichen: 21 TaBV 7/24). Im Zentrum der Entscheidung standen Fragen zur Einführung von Desk Sharing und einer Clean Desk Policy im Betrieb und die damit verbundenen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Diese Entscheidung klärt einige der Grauzonen, die sich in der betrieblichen Praxis häufig bei der Umsetzung moderner Arbeitsplatzkonzepte ergeben.
Einleitung
In einer wegweisenden Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Einführung von Desk Sharing und Clean Desk Policies präzisiert. Das Urteil beleuchtet insbesondere, unter welchen Umständen der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geltend machen kann. Gleichzeitig klärt das Gericht, welche Maßnahmen des Arbeitgebers als mitbestimmungsfrei gelten und gibt damit wichtige Hinweise für die Praxis.
Hintergrund des Falls
Der Rechtsstreit begann vor dem Arbeitsgericht Heilbronn, wo der Betriebsrat eines Unternehmens die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Verhandlung über die Einführung eines neuen Arbeitsplatzkonzepts, genannt „…spaces“, beantragt hatte. Dieses Konzept sah unter anderem Desk Sharing und eine Clean Desk Policy vor, die die bisherigen fest zugeordneten Arbeitsplätze in Großraumbüros ablösen sollten. Der Betriebsrat argumentierte, dass sowohl das Desk Sharing als auch die Clean Desk Policy mitbestimmungspflichtig seien, da sie die Ordnung im Betrieb und das Verhalten der Arbeitnehmer beträfen.
Das Arbeitsgericht Heilbronn wies den Antrag des Betriebsrats jedoch zurück. Es sah in den Maßnahmen des Arbeitgebers keine mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, da es sich hierbei nicht um Regelungen des Ordnungsverhaltens, sondern um Regelungen des Arbeitsverhaltens handele. Das Gericht betonte, dass Anweisungen zur Arbeitsplatzsuche zu Arbeitsbeginn und das Aufräumen des Arbeitsplatzes nach Arbeitsende als Teil der Arbeitsleistung und damit als Arbeitsverhalten anzusehen seien.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg korrigierte diese Entscheidung teilweise. Es urteilte, dass bestimmte Aspekte der Desk Sharing- und Clean Desk-Policy tatsächlich der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen könnten. Es führte aus, dass Vorgaben des Arbeitgebers zur Einbringung persönlicher Gegenstände der Arbeitnehmer und deren Aufbewahrung durchaus die Ordnung des Betriebs betreffen und somit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung unterliegen könnten.
Die Einführung von Desk Sharing ist ebenso wie die Einführung einer Clean Desk Policy nicht als Ganzes mitbestimmungspflichtig, stellte das Gericht klar. Jedoch sei die Frage der Aufbewahrung persönlicher Gegenstände und die Nutzung von Betriebsflächen zu sowohl Arbeits- als auch Pausenzwecken („überlagernde Nutzung“) durchaus mitbestimmungspflichtig, da sie das Ordnungsverhalten im Betrieb beträfen.
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei privater Nutzung
Ein zentraler Punkt der Entscheidung war die Frage, inwieweit der Arbeitgeber Regelungen zur Einbringung und Aufbewahrung persönlicher Gegenstände der Arbeitnehmer treffen kann, ohne das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu verletzen. Das LAG führte aus, dass das Verbot, persönliche Gegenstände auf Schreibtischen oder im Arbeitsbereich zu belassen, das Arbeitsverhalten betreffe. Allerdings berühre die Regelung, wo und wie diese Gegenstände aufzubewahren seien, das Ordnungsverhalten.
Mit dem neuen Konzept ‚…spaces‘ sind unter anderem Regelungen darüber verbunden, welche privaten Gegenstände mitgebracht werden dürfen und wie diese vor Beginn der Arbeitszeit und nach dem Ende der Arbeitszeit dann, wenn der Arbeitnehmer sie nicht mit nach Hause nimmt, im Betrieb aufzubewahren sind, so das Gericht. Diese Regelungen könnten die Ordnung des Betriebs beeinflussen und daher der Mitbestimmung unterliegen.
Doppelwidmung von Betriebsflächen
Ein weiterer mitbestimmungspflichtiger Aspekt war die sogenannte „Doppelwidmung“ von Betriebsflächen. Das Gericht erläuterte, dass die gleichzeitige Nutzung derselben Fläche sowohl zu Arbeits- als auch zu Pausenzwecken („überlagernde Nutzung“) die Ordnung des Betriebs betreffen könne. Ein Beispiel hierfür seien Räumlichkeiten wie Küchen oder Essbereiche, die sowohl für Pausen als auch für spontane Meetings genutzt werden könnten.
Hier ist nicht ausgeschlossen, dass die Ordnung des Betriebs insoweit gesteuert wird, als beispielsweise ein an sich primär zu Pausenzwecken bereitgestellter Raum gleichzeitig nicht nur für ‚Fachgespräche in der Kaffeerunde‘, sondern für das Arbeiten bestimmt wird und die Arbeitnehmer zum dortigen spontanen Arbeiten (Spontanmeetings) ermuntert werden, erläuterte das Gericht. Diese überlagernde Nutzung könnte dazu führen, dass Arbeitnehmer, die eigentlich eine Pause machen wollen, gezwungen seien, sich an den Arbeitsrhythmus anderer anzupassen.
Ablehnung weiterer Mitbestimmungsrechte
Das Gericht lehnte jedoch weitergehende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in Bezug auf andere Aspekte des „…spaces“-Konzepts ab. Es befand, dass weder das Desk Sharing an sich noch die allgemeine Clean Desk Policy mitbestimmungspflichtig seien. Auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG wurde verneint, da kein elektronisches Buchungstool für die Arbeitsplatzsuche eingeführt werden sollte. Ebenso lehnte das Gericht ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ab, da keine konkrete Gefährdung der Arbeitnehmer durch die Maßnahmen des Arbeitgebers festzustellen sei.
Das Gericht führte aus: Einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG stehe entgegen, dass die alleinige Einführung von ‚Desk Sharing‘ nicht zu einer konkreten Gefährdung der Arbeitnehmer führe. Die Arbeitsplätze würden täglich gereinigt, und die Mitarbeiter hätten ihre eigene persönliche Ausstattung, was eine konkrete Gesundheitsgefahr durch die Maßnahmen des Arbeitgebers ausschließe.
Einsetzung der Einigungsstelle
Das Landesarbeitsgericht setzte eine Einigungsstelle mit den eingeschränkten Regelungsgegenständen ein. Zum Vorsitzenden wurde Herr X bestimmt, und die Zahl der Beisitzer wurde für jede Seite auf zwei festgelegt. Diese Entscheidung erfolgte, weil das Gericht der Auffassung war, dass die Einigungsstelle zumindest über die Teilbereiche der Regelungen zur privaten Nutzung und zur überlagernden Nutzung der Betriebsflächen verhandeln solle.
Das Gericht führte weiter aus, dass die Einigungsstelle prüfen solle, ob tatsächlich Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats betroffen seien und wie diese konkret auszugestalten seien. Für die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem gesamten vom Betriebsrat in seinem Antrag Nr. 1 bezeichneten Regelungsgegenstand gibt es keine Rechtsgrundlage, stellte das Gericht klar. Jedoch sei die Einsetzung einer Einigungsstelle für die beiden Teilbereiche gerechtfertigt.
Anwaltstipp
Für Betriebsräte und Arbeitgeber ist diese Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg von besonderer Bedeutung. Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass nicht alle Regelungen im Zusammenhang mit modernen Arbeitsplatzkonzepten wie Desk Sharing und Clean Desk Policies mitbestimmungsfrei sind. Insbesondere Regelungen zur privaten Nutzung und zur überlagernden Nutzung von Betriebsflächen können der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen.
Betriebsräten wird geraten, sorgfältig zu prüfen, welche Maßnahmen des Arbeitgebers tatsächlich die Ordnung im Betrieb betreffen und somit der Mitbestimmung unterliegen könnten. Es ist empfehlenswert, frühzeitig den Dialog mit dem Arbeitgeber zu suchen und gegebenenfalls eine Einigungsstelle anzurufen, um die Mitbestimmungsrechte zu klären. Arbeitgeber sollten hingegen darauf achten, bei der Einführung solcher Konzepte eine klare Abgrenzung zwischen mitbestimmungsfreien Regelungen des Arbeitsverhaltens und mitbestimmungspflichtigen Regelungen des Ordnungsverhaltens vorzunehmen.
Bei Unsicherheiten hinsichtlich der Mitbestimmungsrechte sollten sowohl Betriebsräte als auch Arbeitgeber juristische Beratung in Anspruch nehmen, um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden und eine konstruktive Zusammenarbeit im Betrieb zu gewährleisten.
(se)