Straßburg. Wenn ein Friedhof immer näher an ein Privatgrundstück herankommt, kann dadurch bei den Anwohnern das Recht auf Privat- und Familienleben verletzt werden. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Dienstag, 10. Mai 2022, für einen Friedhof in Wladiwostok, Russland, festgestellt (Az.: 47987/15).
Eine Belastung aufgrund von Bakterien und Chemikalien sei offenbar zwar noch nicht lebensbedrohlich, aber dennoch besorgniserregend und bedenklich.
Der Beschwerdeführer besitzt ein eigenes Haus und Grundstück in Wladiwostok. Angrenzend befindet sich der örtliche Lesnoye-Friedhof. Dieser wurde seit 1991 in Richtung des Wohnhauses des Beschwerdeführers ausgeweitet. 1995 ordneten die örtlichen Behörden die Schließung des Friedhofs an, nachdem mehrere Anwohner sich beschwert hatten. Der Friedhof habe seine maximale Kapazität erreicht. Jede weitere Bestattung stelle einen Verstoß gegen die Hygienevorschriften dar.
Nach der Wiederaufnahme der Bestattungen im Jahr 2010 war der Friedhof bis 2013 auf 70 Meter an das Grundstück des Beschwerdeführers herangewachsen. Die Anwohner erwirkten 2014 eine gerichtliche Anordnung, die die Stadt aufforderte, eine „Gesundheitsschutzzone“ um den Friedhof herum einzurichten. Auch dem wurde nicht gefolgt.
Der Beschwerdeführer legte mehrere Sachverständigengutachten vor, in denen festgestellt wurde, dass der Boden und das Wasser in seinem Brunnen „in gefährlichem Ausmaß“ belastet waren. Es gab verschiedene Chemikalien und krankheitserregende Bakterien und Parasiten im Boden.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah darin nun eine Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Auch wenn die vorliegenden Belastungen offenbar nicht lebensbedrohlich waren, seien sie doch stark genug, um einen derartigen Verstoß festzustellen.
Die Stadt habe die Rügen der Aufsichtsbehörden wiederholt ignoriert. Die gerichtlich angeordnete Gesundheitsschutzzone gebe es auch noch immer nicht. Ein Angebot für einen Neubau oder zumindest eine Bodensanierung habe der Beschwerdeführer nicht erhalten.
Aus diesen Gründen sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Beschwerdeführer 7.500 Euro Entschädigung zu. Außerdem muss Russland 1.300 Euro für die Kosten der Sachverständigengutachten zahlen.
Quelle: © Fachanwalt.de
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