Medizinrecht

Patientenverfügung muss Behandlungssituation erfassen

Zuletzt bearbeitet am: 01.04.2024

Karlsruhe (jur). Soll eine Patientenverfügung eine Zwangsbehandlung in der geschlossenen Psychiatrie verhindern, darf der psychisch Kranke das Behandlungsverbot nicht zu allgemein fassen. Die in der Verfügung enthaltene Regelung muss sich auf die konkrete Behandlungssituation der geschlossenen Unterbringung beziehen und die etwaigen Konsequenzen wie etwa Gesundheitsschäden bei ausbleibender Behandlung erfassen, forderte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Mittwoch, 17. Mai 2023, veröffentlichten Beschluss (Az.: XII ZB 232/21).

Bei einer bestehenden konkreten Gefahr für Leib und Leben anderer Personen – wie etwa Pflegekräfte und Ärzte – kann die Zwangsmedikation auch trotz des anderslautenden Willens in der Patientenverfügung gerechtfertigt sein. 

Im konkreten Fall ging es um einen an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie erkrankten Mann, der nach einer Straftat 2017 im geschlossenen Maßregelvollzug einer forensisch-psychiatrischen Klinik untergebracht wurde. Er lehnte von Anfang an die Einnahme von Neuroleptika zur Behandlung seiner Krankheit ab. 

Bereits am 4. Januar 2015 und damit vor dem Maßregelvollzug hatte er seiner Mutter und seinem Bruder eine Vorsorgevollmacht erteilt. Diese enthielt in einem Anhang auch eine Patientenverfügung. Darin hatte der Mann bestimmt: „Ich verbiete jedem Arzt, Pfleger (und anderen Personen) mir Neuroleptika in irgendeiner Form gegen meinen Willen zu verabreichen oder mich dazu zu drängen“. 

Die behandelnden Ärzte wollten den Mann dennoch für die Dauer von sechs Wochen zwangsweise mit Neuroleptika behandeln. Die hierfür erforderliche Genehmigung wollten sie gerichtlich einholen. 

Das Landgericht Regensburg lehnte die Zwangsmedikation mit Verweis auf die bindende Patientenverfügung ab. Darin werde die Behandlung mit Neuroleptika ausdrücklich untersagt. Es liege auch keine „konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer anderen Person in der Einrichtung“ vor, wenn die Zwangsbehandlung nicht durchgeführt werde. Nur eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer „gravierenden Gesundheitsschädigung“ anderer Personen, wie Einrichtungspersonal oder Besucher, könne die Zwangsmedikation rechtfertigen. 

Der BGH hob diese Entscheidung mit Beschluss vom 15. März 2023 auf und verwies das Verfahren an das Landgericht zurück. Damit die Patientenverfügung und der darin geäußerte Wille, keine Neuroleptika nehmen zu wollen, bindend sei, müsse die konkrete Behandlungssituation benannt werden. Hier sei gar nicht klar, ob der Betroffene beim Verfassen seines Willens gesehen hat, dass als mögliche Folge einer unterbliebenen Behandlung er gegebenenfalls lebenslang im Maßregelvollzug bleiben muss. 

Gebe es ohne Zwangsmedikation eine Gefährdung von Leib und Leben anderer Personen wie Ärzte und Pflegepersonal, sei zudem nach den bayerischen Regelungen eine Zwangsmedikation auch trotz einer anderslautende Patientenverfügung möglich. Das Vorliegen einer „gravierenden Gefährdung“ anderer Personen sei nicht erforderlich. Es reiche aus, dass der Patient – wie im vorliegenden Fall – in der Vergangenheit mehrfach Pflegekräfte angegriffen hat. 

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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