Pflichtteilsstrafklausel durch Auskunftsverlangen verwirkt?
In gemeinschaftlichen Testamenten von Ehegatten setzen sich Ehegatten in der Regel gegenseitig für den ersten Todesfall zu ihren Erben ein und bestimmen zugleich für den zweiten Erbfall, wer die Schlusserben sein sollen.
Diese gegenseitige Erbeinsetzung bedeutet zugleich, dass andere Pflichtteilsberechtigte auf den ersten Todesfall enterbt sind. Um insbesondere Abkömmlinge davon „abzuhalten“, nach dem Ableben des ersten Elternteils ihren Pflichtteil gelten zu machen, werden in Testamenten üblicherweise sogenannte Pflichtteilsstrafklauseln aufgenommen.
Wann und ob diese Strafklauseln verwirkt sind, also durch Handlungen des Pflichtteilsberechtigten gegen eine derartige Klausel verstoßen wird, ist häufig Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen.
So musste das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main in einer Entscheidung vom 01.02.2022 (-21 W 182/21-) eine solche Pflichtteilsstrafklausel auslegen.
Eheleute hatten sich im Jahr 2007 in einem handschriftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und ihre vier Kinder zu ihren Schlusserben bestimmt. Ferner hatten sie wörtlich festgelegt:
"Sollte eines unsere Kinder nach dem Tode des Erstverstorbenen den Pflichtteil fordern, so erhält es beim Tode des Letztverstorbenen ebenfalls nur das Pflichtteil".
Pflichtteilsstrafklausel ausgelöst?
Nachdem der Ehemann im Jahr 2020 verstorben war, hatte eine der Töchter ihre Mutter über einen Rechtsanwalt unter Fristsetzung mehrfach aufgefordert, umfassend Auskunft über den Nachlass zu erteilen gemacht.
Diesem Auskunftsbegehren kam die Ehefrau durch Übersendung eines Nachlassverzeichnisses nach. Jedoch wies die Tochter dieses Verzeichnis als nach ihrer Ansicht unzureichend zurück und forderte unter weiterer Fristsetzung zur Nachbesserung und Korrektur auf. Zugleich machte sie hinsichtlich einer im Nachlass sich befindenden Immobilie einen Wertermittlungsanspruch geltend.
Die Angelegenheit „schlief“ jedoch nach weiterem Schriftverkehr ein und es kam weder zu einer Auszahlung, noch wurde Klage erhoben.
Ausschluss aus Schlusserbfolge?
Nach dem Tod der Ehefrau wurde ein Erbschein für die übrigen Kinder beantragt und damit begründet, dass die seinerzeit die Auskunft verlangende Tochter nach dem Tod des Vaters ihren Pflichtteil geltend gemacht habe, weswegen sie aufgrund der Pflichtteilsverwirkungsklausel von der Erbfolge ausgeschlossen sei.
Dem entgegnete die Tochter, der Pflichtteil sei von ihr nicht geltend gemacht worden und der Auskunftsanspruch löse die Sanktion der Klausel noch nicht aus.
Das Nachlassgericht folgte diesem Argument der Tochter nicht und erachtete die für die Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt.
Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde hob das OLG Frankfurt a.M. diese Entscheidung auf und wies den Erbscheinsantrag zurück.
Das Gericht entschied, dass durch die Aufforderungen der Tochter an ihre Mutter nach dem Tod Ihres Vaters die Pflichtteilsstrafklausel nicht verwirkt worden sei, weswegen auch diese Tochter Miterbin nach der Mutter sei.
Auskunftsverlangen reicht nicht aus
Das Gericht hatte im Wege der Auslegung zu ermitteln, was die testierenden Ehegatten mit dem verwendeten Begriff des "Forderns" tatsächlich gewollt hatten und kam zu dem Ergebnis, dass auch die teils energische Verhaltensweise der Tochter nicht als eine über eine reine Auskunftsforderung hinausgehende Handlung verstanden werden konnte. Auch konnten die Richter keine Anhaltspunkte für ein abweichendes Verständnis der testierenden Eheleute dahingehend, dass bereits das Auskunftsverlangen zur Verwirkung der Strafklausel ausreichen sollte, erkennen.
Pflichtteilsstrafklauseln verfolgen im Wesentlichen das Ziel, dem überlebenden Ehegatten den Nachlass möglichst ungeschmälert zu erhalten. Erblasser wollen mit der Sanktionsklausel den Ehegatten nicht nur vor einer vorzeitigen Schmälerung der als Einheit gesehenen Erbmasse schützen, sondern ihm auch und gerade die persönlichen Belastungen ersparen, die mit einer Auseinandersetzung mit Pflichtteilsberechtigten regelmäßig verbunden sind.
Ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen des Pflichtteils erforderlich
Durch die bewusste Geltendmachung des Pflichtteils in Kenntnis der Klausel wird eine solche Pflichtteilsstrafklausel zweifellos ausgelöst. Jedoch erfordert die Verwirkung der Pflichtteilsstrafklausel ein konkretes Fordern oder Verlangens des Pflichtteils. Ein solches Verlangen bzw. Fordern kann immer dann angenommen werden, wenn der Pflichtteilsberechtigte gegenüber dem Überlebenden ausdrücklich und ernsthaft deutlich macht, dass er seinen Pflichtteil geltend machen will.
Nach der überwiegenden Rechtsprechung ist es jedoch nicht ausreichend, dass der Pflichtteilsberechtigte allein Auskunft begehrt. Pflichtteilsberechtigte benötigen zumindest die Auskunft über den Umfang des Nachlasses, um entscheiden zu können, ob die Schlusserbeneinsetzung bestehen gelassen oder lieber der Pflichtteil in Anspruch genommen werden soll.
Ob eine ernsthafte Geltendmachung des Pflichtteils vorliegt, ist aus der Sicht des Erben unter Zugrundelegung eines objektiven Empfängerhorizonts zu beurteilen.
Gestufte Vorgehensweise stets zu empfehlen
Diesen Grundsätzen folgend entschied das OLG, dass die Schreiben der Anwälte nicht als Verlangen des Pflichtteils zu werten seien, da hiermit lediglich Auskunft über den Nachlass verlangt wurde und das bloße - auch energischere - Verlangen nach Auskunft regelmäßig kein Verlangen des Pflichtteils beinhaltet.
Auch in der Beharrlichkeit der Interessenverfolgung, der Forderung nach einer Korrektur des Nachlassverzeichnisses und der Geltendmachung des Wertermittlungsanspruchs sah das Gericht nicht die Grenze zum Verlangen des Pflichtteils als überschritten an.
Zwar stellten diese Forderungen eine Belastung für die durch die Klausel zu schützende Erbin dar, jedoch sei vorrangig an der gesetzlichen Trennung zwischen der konkreten Pflichtteilsforderung und den Auskunfts- und Wertermittlungsansprüchen aus Gründen der Rechtssicherheit festzuhalten.
Diese Entscheidung macht erneut deutlich, wie wichtig für Pflichtteilsberechtigte vor der umfassenden Kenntnis des Nachlasses eine „gestufte“ Vorgehensweise ist. Voreilig sollte ein entsprechendes konkretes Verlangen oder Fordern von Pflichtteilsansprüchen unterbleiben.
Sollte von gemeinsam Testierenden eine Verwirkung von Pflichtteilsstrafklauseln auch schon für den Fall des Auskunftsverlangens gewollt sein, muss eben dies im Testament festgehalten werden.
Wichtig ist es auch mit Blick auf etwaige erbschaftsteuerliche Fragestellungen, dass keine „automatische“ Enterbung bestimmt wird, sondern die Pflichtteilsklausel nur dann greift, wenn der Pflichtteil gegen den Willen des Erben verlangt wird.
Weitere Informationen zum Pflichtteilsrecht erhalten Sie hier: https://www.rosepartner.de/rechtsberatung/erbrecht-nachfolge/erbrecht-erbschaft-testament/pflichtteil-enterbung-beratung-und-vertretung.html