Karlsruhe. Polizeilich durchgeführte erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen Beschuldigte müssen konkret notwendig sein. Das Bundesverfassungsgericht entschied in einem am Freitag, 19. August 2022, veröffentlichten Beschluss (Az.: 2 BvR 54/22), dass ein Beschuldigter in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt wird, wenn Finger- und Handflächenabdrücke oder Fotos angefertigt werden, obwohl dies für die Strafverfolgung nicht notwendig ist. Ein Mann aus Sachsen, der rechtsextreme Graffiti mit silberner Sprühfarbe übermalt hatte bekam damit recht.
Auslöser des Rechtsstreits waren Graffiti mit den Worten „Toni F. Du Jude“ und „Antifa Boxen“ an einem Gasverteilergebäude in Zwickau. Der zunächst unbekannte Beschwerdeführer übersprühte die Sprüche mit silberner Sprühfarbe. Dabei wurde er von einem Zeugen beobachtet. Dieser Zeuge sprach mit dem Übermaler und filmte und fotografierte ihn.
Von der Gebäudeeigentümerin wurde Strafantrag wegen Sachbeschädigung durch die Übermalung gestellt. Das Entfernen der Farbe werde zwischen 500 und 800 Euro kosten, führte sie an. Müsse der Graffitischutz erneuert werden, würden die Kosten zwischen 2.500 und 3.000 Euro liegen.
Nach einem anonymen Hinweis identifizierten zwei Polizisten den Übermaler auf den vom Zeugen gefertigten Fotos. Der Zeuge sagte aus, er würde den Beschuldigten auch bei einer Gegenüberstellung identifizieren können.
Im Juli 2021 erfolgte beim Beschuldigten dann eine umfassende erkennungsdienstliche Behandlung. Es erfolgte ein Zehnfinger- und eine Handseitenabdruck, ein Fünfseitenbild, ein Ganzkörperbild, eine Personenbeschreibung sowie eine Spezialbild von ihm angefertigt.
Vom Landgericht Zwickau wurden hier keine Einwände gegen die umfassenden erkennungsdienstlichen Maßnahmen gesehen.
Das polizeiliche Vorgehen verletze jedoch das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung, urteilte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 29. Juli 2022. Im Strafverfahren hingegen müssten Beschuldigte bei einem Anfangsverdacht aber durchaus erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen ihren Willen dulden. Ziel sei es, die Tat zu beweisen, den Täter zu identifizieren und eine Strafverfolgung zu ermöglichen.
Diese Maßnahmen müssten jedoch konkret notwendig sein und stets mit dem Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung abgewogen werden.
Finger- und Handabdrücke hätten hier nicht gemacht werden müssen, da am Tatort keine Fingerabdrücke genommen worden seien. Unklar sei auch, warum ein Fünfseiten- sowie ein Ganzkörperfoto nötig war, so die Verfassungsrichter. Es hätte zunächst auch der Zeuge befragt und dann selbst ein Abgleich zwischen den in der Akte befindlichen Fotos zur Identifikation des Beschuldigten vorgenommen werden können.
Daher müsse das Landgericht neu über die Zulässigkeit der polizeilichen Maßnahmen entscheiden.
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