Beleidigungen und der unberechtigte Vorwurf strafbaren Verhaltens rechtfertigen es bei psychisch kranken Mietern nicht ohne Weiteres, ihnen nach § 543 Abs. 1 BGB fristlos zu kündigen (LG Krefeld v. 01.03.2023 - 2 S 27/22)
Das Mietverhältnis bestand seit 1984 und verlief bis 2020 störungsfrei. Nachdem die Vermieter dem Mieter eine Betriebskostenabrechnung vorlegten, reagierte dieser schriftlich mit erheblichen Vorwürfen: Die Vermieter hätten ihn und andere Mieter mittels gefälschter Belege betrogen und Gelder veruntreut. Da die Vermieter sich hierdurch beleidigt fühlten, kündigten sie das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß. Später erfolgte eine zweite Kündigung: Der Mieter störe den Hausfrieden nachhaltig, weil er gegenüber Mitmietern
erklärt habe, er könne die Mieter der übrigen Wohnungen im Haus abhören. Zum Beweis habe er zwei Mitmietern Aufnahmen von Gesprächen aus der Wohnung eines dritten Mitmieters vorgespielt. Ein schriftliches Gutachten wurde im Räumungsprozess eingeholt, um zu klären, ob der Mieter an die Schuldfähigkeit ausschließenden Erkrankungen oder einer Persönlichkeitsstörung leide und welche gesundheitlichen Folgen ihm bei einer Räumung drohen.
Das Amtsgericht gab der Räumungsklage statt; auch die besondere Persönlichkeitsstruktur des Mieters rechtfertige keine andere Beurteilung der Vorwürfe.
Das sah das Landgericht anders. Es stellte fest, dass das Mietverhältnis fortbestehe.
Eine Vertragsfortsetzung sei noch zumutbar. Der Sachverständige halte den Mieter zwar für eine Person mit einer narzisstischen, zwanghaften sowie passiv-aggressiven Persönlichkeitsstruktur mit mangelnder Kritikfähigkeit. Die dadurch entstehende Belastung bei den Vermietern, mit derartigen Vorwürfen konfrontiert zu sein, müssten diese aber hinnehmen, zumal in der Vergangenheit derartige Situationen nicht auftraten und sich der Mieter auch öffentlich nicht mit Vorwürfen geäußert habe. Für die Interessenabwägung
sei weiterhin zu berücksichtigen, dass der Gutachter das Beibehalten der Wohnung für den Mieter als Rückzugsort sehe, der seinen Zustand stabilisiereund notwendig sei, seine Selbstständigkeit beizubehalten. Bei Entzug der Wohnung sei eine Obdachlosigkeit zu befürchten, die mit einer erheblichen Verschlechterung des psychischen Zustands einhergehen würde. Zudem gebe es für den Mieter keine nachhaltige Möglichkeit zur erfolgreichen Therapie. Die weitere Kündigung habe das Mietverhältnis ebenfalls nicht beendet. Auch die Vermieter hätten nicht behauptet, dass der Mieter die Mitmieter abhören könne. Vielmehr habe dieser nur ein Gespräch in der Nachbarwohnung mitgeschnitten und dies seinen anderen Mitmietern vorgespielt. Dies sei kein Verhalten, das eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung rechtfertige.
Unser Praxishinweis: Die Unzumutbarkeit einer Vertragsfortführung scheidet bei fehlendem Verschulden i. d. R. aus (Streyl in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, § 543 Rn. 16). Ausnahme: Es erfolgen häufige und nachhaltige Beeinträchtigungen durch psychisch kranke oder schuldunfähige Mieter, die den Vermieter beleidigen, bedrohen, angreifen oder den Hausfrieden gemäß § 569 Abs. 2 BGB stören. Das war hier nicht der Fall. Der einmalige Vorfall war zu vernachlässigen.