Ratgeber: Sozialrecht
Kassel (jur). Infizieren sich im Wald oder in der Landwirtschaft tätige Beschäftigte mit von Zecken übertragenen Borreliose-Bakterien, können sie sich nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom Donnerstag, 30. März 2023, dies leichter als Berufskrankheit anerkennen lassen. Beschäftigte müssen nicht nachweisen, dass ihre Borreliose-Erkrankung auf einen während ihrer Arbeitszeit erlittenen konkreten Zeckenstich zurückgeht, urteilten die Kasseler Richter. Es genüge auch, dass der Versicherte bei seiner versicherten Tätigkeit einer „besonderen Infektionsgefahr“ ausgesetzt war. Vor Gericht war eine frühere, mittlerweile erwerbsunfähige Erzieherin ... weiter lesen
Kassel (jur). Wenn jugendliches Imponiergehabe zu Leichtsinn wird, schließt dies den Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung nicht aus. Mit diesem Hinweis sprach das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel einem zum Unfallzeitpunkt knapp 16-jährigen Schüler Leistungen der Schülerunfallversicherung wegen eines Unfalls beim „Bahnsurfen“ zu (Az.: B 2 U 3/21 R). Gerade Schüler seien besonders schutzbedürftig. Im Januar 2015 hatte der Gymnasiast aus Brandenburg wie üblich nach Schulende einen Regionalexpress bestiegen, um nach Hause zu kommen. Während der Fahrt öffnete er mit einem mitgebrachten Vierkantschlüssel die verschlossene Durchgangstür des letzten ... weiter lesen
Karlsruhe (jur). Nicht nur Arbeitslose, sondern umgekehrt auch die Jobcenter müssen sich an Fristen halten. Tun sie das nicht, ist eine Untätigkeitsklage „grundsätzlich nicht treuwidrig“, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Mittwoch, 15. März 2023, veröffentlichten Beschluss entschied (Az.: 1 BvR 311/22). Die Klägerin aus Südhessen und ihre zwei Kinder bezogen Grundsicherungsleistungen, hier noch das Anfang 2023 vom Bürgergeld abgelöste Hartz IV. In einem Leistungsbescheid vom Oktober 2020 hatte das Jobcenter viel zu hohe Einkünfte angerechnet – 1.400 statt 907 Euro. Mithilfe eines Anwalts legte die Frau erfolgreich ... weiter lesen
Celle (jur). Wenn ein Jobcenter einem Arbeitslosen keine Hilfen für den Umzug in eine andere Stadt gibt, darf es sich nicht wundern, wenn er eine neue Stelle dort nicht antritt. „Sozialwidriges Verhalten“ liegt nicht vor, wenn das Jobcenter den Betroffenen ‚allein lässt‘ und nicht die nötige Hilfe leistet“, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem am Montag, 13. März 2023, veröffentlichten Urteil (Az.: L 11 AS 336/21). Der heute 60-jährige Kläger aus Osnabrück ist ausgebildeter Industriekaufmann und einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Bis 2003 hatte er als Buchhalter gearbeitet. Danach fand er nur noch ... weiter lesen
Kassel (jur). Gehbehinderte Menschen haben künftig leichteren Zugang zu Behindertenparkplätzen. Sie müssen sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie auf glatten Oberflächen oder in vertrauter Umgebung noch weitere Strecken bewältigen können, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in zwei am Freitag, 10. März 2023, bekanntgegebenen Urteilen vom Vortag (Az.: B 9 SB 1/22 R und B 9 SB 8/21 R). Im ersten Fall leidet der Kläger aus Sachsen an Muskelschwund. Er kann daher nur unter ebenen und möglichst glatten „Idealbedingungen“ längere Strecken gehen, etwa auf einem Krankenhausflur; Bordsteine oder unebene Wege bereiten dagegen Probleme. Der zweite ... weiter lesen
Kassel (jur). Eine Schwangerschaft während der Arbeitslosigkeit und eine damit einhergehende berufliche Einschränkung begründet kein höheres Elterngeld. Betroffene Frauen können nicht verlangen, dass die Zeiten der Arbeitslosigkeit während ihrer Schwangerschaft bei der Berechnung des Elterngeldes ausgeklammert werden, urteilte am Donnerstag, 9. März 2023, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 10 EG 1/22 R). Nach den gesetzlichen Bestimmungen werden für die Bemessung des Elterngeldes regelmäßig die Erwerbseinkünfte der letzten zwölf Monate vor der Geburt des Kindes herangezogen. Maßgeblich sind die Einkünfte aus abhängiger und selbstständiger ... weiter lesen
Kassel (jur). Mittellose Schülerinnen und Schüler müssen ein einwöchiges Schul-Zirkusprojekt auf dem Schulgelände nicht aus eigener Tasche bezahlen. Sie haben Anspruch auf „gleichberechtigte Teilhabe an Bildung“, so dass das Jobcenter ähnlich wie bei Schulausflügen die anfallenden Kosten erstatten muss, urteilte am Mittwoch, 8. März 2023, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 7 AS 9/22 R). Voraussetzung hierfür sei, dass es sich um eine von der Schule organisierte Veranstaltung handelt und diese auch als Schulausflug stattfinden könnte. Damit bekam eine zum Streitzeitpunkt siebenjährige Grundschülerin aus dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz ... weiter lesen
Stuttgart (jur). Arbeitspausen gelten eigentlich als Privatsache. „Spezifische betriebsbezogene Gefahren“ fallen aber dennoch unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wie das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am Montag, 6. März 2023, bekanntgegebenen Urteil entschied (Az.: L 1 U 2032/22). Der Kläger war in einer Arbeitspause zum Luftschnappen im Freien und hielt sich in einem vom Arbeitgeber ausgewiesenen Pausenbereich auf. Dort fuhr ihn ein Gabelstapler an. Bei dem Unfall brach sich der Mann einen Arm und erlitt eine Zerrung im Kniegelenk. Die zuständige Unfallgenossenschaft erkannte dies nicht als ... weiter lesen
Berlin (jur). Die Beihilfe für Beamte muss Mann-zu-Frau-Transsexuellen eine Nadelepilation zur Entfernung der Barthaare nur durch Ärzte bezahlen. Weichen Betroffene auf eine Kosmetikerin aus, müssen sie die Kosten selbst tragen – und zwar auch dann, wenn kein Arzt zu der Behandlung bereit war, wie das Verwaltungsgericht Berlin in einem am Donnerstag, 2. März 2023, bekanntgegebenen Urteil entschied (Az.: 36 K 75/20). Es schloss sich damit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen an. Die Klägerin ist Beamtin des Landes Berlin. Sie wurde biologisch männlich geboren und hat eine Geschlechtsangleichung zur ... weiter lesen
Stuttgart. Es ist „nicht betriebsunüblich“, während der Arbeitszeit alle zwei bis drei Stunden auf die Toilette zu gehen. In einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 17. November 2022 hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) in Stuttgart entschieden, dass die berufliche Leistungsfähigkeit von einer gesetzlich Krankenversicherten dadurch genauso wenig eingeschränkt wird wie das zweimal tägliche Legen eines Blasenkatheters außerhalb der Arbeitszeiten (Az.: L10R3541/19). Von 2009 bis zum 3. Januar 2014 war die Klägerin als Produktionshelferin tätig. Seitdem ist sie arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Seit dem Jahr 2014 klagt sie über einen Dauerschwindel ... weiter lesen
Kassel (jur). Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat die Einnahmen sogenannter Beleghebammen gefestigt. Nach einem am Donnerstag, 23. Februar 2023, bekanntgegebenen Urteil vom Vortag dürfen die Krankenkassen einen Zuschuss ihres Belegkrankenhauses zur Haftpflichtversicherung nicht auf den den Hebammen für ihre Versicherung zustehenden Sicherstellungszuschlag anrechnen (Az.: B 3 KR 13/21 R). Mit diesem, von den Krankenkassen zu zahlenden Zuschlag hatte der Gesetzgeber 2015 auf die Kostenexplosion bei den Haftpflichtversicherungsprämien für Hebammen reagiert. Er soll sicherstellen, dass Hebammen auch in Monaten mit wenigen Geburten und daher geringen Einnahmen ... weiter lesen
Darmstadt (jur). Der am Arbeitsplatz zurückgelegte Weg zum Getränkeautomaten ist regelmäßig unfallversichert. Auch wenn der Automat sich in einem Sozialraum befindet und eine Arbeitnehmerin dort beim Kaffee-Holen stürzt, liegt ein Arbeitsunfall vor, entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG) in einem am Dienstag, 21. Februar 2023, bekanntgegebenen Urteil (Az.: L 3 U 202/21). Die Darmstädter Richter ließen allerdings die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zu. Geklagt hatte eine Verwaltungsangestellte eines Finanzamtes. Als die 57-Jährige sich einen Kaffee holen wollte und auf dem Weg zu dem im Sozialraum des Finanzamtes aufgestellten ... weiter lesen
Kassel (jur). Beschäftigte eines insolventen Subunternehmens haben künftig bessere Aussicht, ausstehenden Lohn unbürokratisch von dem Generalunternehmen erstattet zu bekommen. Denn in Höhe des Mindestlohns kann sich das Generalunternehmen solche Zahlungen in Form des Insolvenzgeldes von der Bundesagentur für Arbeit zurückholen, wie am 15. Februar 2023 das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschied (Az.: B 11 AL 37/21 R). Ein Bauunternehmen aus Rheinland-Pfalz hatte als Generalunternehmen für eine größere Baustelle ein Subunternehmen eingesetzt, für das 29 Arbeiter auf der Baustelle tätig waren. Doch diese erhielten ab April 2015 keinen Lohn mehr. Sie ... weiter lesen
Celle. Jungen Menschen soll durch die Rückforderung von Leistungen der Grundsicherung nicht die Zukunft verbaut werden. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat in einem am Montag, den 20. Februar 2023, bekannt gegebenen Urteil entschieden, dass die Rückforderung von über 51.000 Euro aufgrund eines bereits seit mehreren Jahren zurückliegenden „sozialwidrigen Verhaltens“ gegen das Übermaßverbot verstößt (Az.: L 11 AS 346/22). Der Kläger ist heute 30 Jahre alt und hat nach der Schule eine Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungstechnik angefangen. Im Februar 2012 hat er seinen Arbeitsplatz unerlaubt verlassen, kurze Zeit später und fehlte ... weiter lesen
Kassel. Endet das Arbeitsverhältnis von einem Arbeitnehmer während einer Krankschreibung, dann ist es ausreichend, dass er sich am ersten Arbeitstag nach Ende der Krankschreibung arbeitslos meldet, an dem die zuständige Agentur für Arbeit geöffnet hat. Wenn beispielsweise Wochenenden oder gesetzliche Feiertage dazwischen liegen, dann wirkt die Arbeitslosmeldung auf den Tag zurück, der sich an die Krankmeldung anschließt. Dies hat der für Arbeitsförderung zuständige 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel am 15. Februar 2023 entschieden (Az.: B 11 AL 40/21R). Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete am 31. Juli 2018. Sie war zum Ende des ... weiter lesen
Kassel (jur). Ehepaare haben auch beim Erhalt von Grundsicherungsleistungen und bereits abgesenkten Asylbewerberleistungen genügend Einsparpotenziale bei Nahrung, Energie und Telekommunikation. Daher muss das Jobcenter Hartz-IV-Leistungen beziehungsweise heute das Bürgergeld nicht nach der für Alleinstehende vorgesehenen Regelbedarfsstufe 1 berechnen, sondern nach der für Eheleute um zehn Prozent verringerten Regelbedarfsstufe 2, urteilte am Mittwoch, 15. Februar 2023, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 4 AS 2/22 R). Vor Gericht war eine in Berlin lebende, erwerbsgeminderte Mutter von vier minderjährigen Kindern gezogen. Da ihr ältester Sohn ... weiter lesen
Karlsruhe. Wenn eine private Krankenversicherung die Kosten für eine Behandlung bisher immer vorbehaltlos übernommen hat, kann sie zur Übernahme der Kosten ausnahmsweise erneut verpflichtet sein, wenn sich die Behandlung als medizinisch nicht erforderlich erweist. Das hat das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 2. Februar 2023 (Az.: 12 U 194/22) entschieden. Eine derartige „Vertrauenshaftung“ endet nach dem Urteil jedoch dann, wenn vom Krankenversicherer eine Prüfung angekündigt oder sogar die Übernahme zukünftiger Kosten abgelehnt werden. Bei der Klägerin lagen verschiedene orthopädische Beschwerden sowie Sehprobleme ... weiter lesen
Berlin (jur). Langzeitstudenten können bei überlanger Studiendauer ihren Wohngeldanspruch verlieren. Werde das Studium nicht mehr ernsthaft betrieben, sei den Betroffenen eine volle Erwerbstätigkeit zuzumuten, um die Inanspruchnahme von Wohngeld zu verhindern, entschied das Verwaltungsgericht Berlin in einem am Dienstag, 7. Februar 2023, bekanntgegebenen Urteil (Az.: VG 21 K 144/22). Die Klägerin, eine Studentin im Bachelor-Studiengang Bauingenieurswesen, befand sich mittlerweile im 20. Hochschulsemester. Darin waren vier Urlaubssemester und zwei Semester eines Erststudiums enthalten. Sie hält sich mit studentischen Nebenjobs über Wasser und bezieht seit mehreren ... weiter lesen
Celle (jur). Medizinische Leistungserbringer müssen nicht nur inhaltlich richtig, sondern auch formgerecht abrechnen. Andernfalls können die Kassenärztlichen Vereinigungen die Vergütung aussetzen, wie jetzt das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen im Fall eines Corona-Testzentrums entschied (Az.: L 4 KR 549/22 B ER). Danach ist sogar der vollständiger Ausfall des Entgelts möglich. Im konkreten Fall geht es um ein Corona-Testzentrum im Raum Lüneburg. Der Betreiber hatte hierfür auf einem gemieteten Stellplatz einen Container aufgestellt. Im Winter 2021/22 rechnete er rund 220.000 Euro mit der KV Niedersachsen abgerechnet. Als im Frühjahr 2022 ... weiter lesen
Celle (jur). Die Rentenversicherung darf Abgaben zur Künstlersozialkasse „nicht auf Grundlage einer undifferenzierten Schätzung“ erheben. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem am Montag, 16. Januar 2023, bekanntgegebenen Beschluss klargestellt (Az.: L 2 BA 49/22 B ER). Nur um den Verwaltungsaufwand zu verringern, habe sich die Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover jedenfalls im Streitfall „sehenden Auges über rechtsstaatliche Vorgaben hinweggesetzt“. Damit gab das LSG dem Eilantrag einer kleinen Schokoladenmanufaktur im Raum Lüneburg statt. Diese hatte der Künstlersozialkasse für 2016 Ausgaben für ... weiter lesen