Die Geschichte des Rechtsmissbrauch bei befristeten Arbeitsverträgen zieht sich durch die Gesetzgebung und die Rechtsprechung.
Bis zur entsprechenden Gesetzesänderungen des TzBfG gab es tatsächlich Konstellationen, in denen Mitarbeiter jeweils von Montag bis Freitag befristet wurden, damit der Arbeitgeber keine Vergütung am Wochenende bezahlen muss.
Solche Fälle gehören (hoffentlich) längst der Vergangenheit an, eine sachgrundlose Befristung nach dem TzBfG unterliegt sehr engen Grenzen.
Doch was ist mit Befristungen mit einem Sachgrund? Wenn der Arbeitgeber also vorweisen kann, einen Mitarbeiter aus gutem Grund nur befristet einsetzen zu können -Beispiel: Schwangerschaftsvertretung. Hier sieht das Gesetz keine Höchstgrenze vor.
Arbeitgeber nutzen gerne die Möglichkeit, Mitarbeiter befristet zu beschäftigen. Die Vorteile sind offensichtlich: Ein unliebsam gewordener Mitarbeiter wird einfach nicht weiter angestellt, der Arbeitsvertrag nicht verlängert, der Fall damit erledigt.
Der erste Meilenstein: Kücük Entscheidung
Die viel beachtete und prominente Kücük Entscheidung (EuGH, Urteil vom 26.01.2012, Rs. C-586/10 /BAG: Urteil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09) hat ergeben, dass auch eine formaljuristisch nicht angreifbare Befristung, wenn also ein Sachgrund vorliegt, rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn ihr sehr viele aufeinanderfolgende Befristungen vorausgingen, also eine Kettenbefristung vorliegt. In diesem Fall ist die Befristung eben doch angreifbar. Im Rahmen einer Entfristungsklage kann der Arbeitgeber die Befristung angreifen, mit dem Ergebnis, dass das Arbeitsverhältnis unbefristet fortgesetzt wird.
Kettenbefristungen im WissZeitVG
Doch was ist mit Befristung nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) ? Gilt diese Rechtsprechung hier auch?
Auch das WissZeitVG ermöglicht es dem Arbeitgeber im Rahmen der so genannten Drittmittelfinanzierung wissenschaftliches Personal im Prinzip unbegrenzt lange und über beliebig viele Einzelverträge befristet zu beschäftigen.
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass wissenschaftliche Mitarbeiter über Jahre, ja Jahrzehnte hinweg in dem Dauerschwebezustand eines befristeten Arbeitsvertrages stehen. Nicht selten gelten laufen die Einzelverträge jeweils nur wenige Monate. Die Mitarbeiter haben kaum die Möglichkeit eine vernünftigen Lebensplanung aufzubauen, sie müssen stets hoffen und sich darauf verlassen, dass der Vertrag verlängert wird. Hier ist auch zu beachten, dass es ja keinen Vorlauf gibt, in dem der Arbeitgeber über eine geplante Verlängerung unterrichten muss. Im Prinzip kann es dem Arbeitnehmer passieren, dass er nach Jahren von heute auf morgen erfährt, dass die Befristung nun plötzlich nicht mehr verlängert wird und er steht dann ohne jede Vorankündigung ohne Beschäftigungsverhältnis da.
Besonders pikant: der Befristungsgrund besteht auch dann, wenn das drittmittelfinanzierte Projekt gar nicht abgeschlossen ist und Finanzierung weiterläuft. Allein die Tatsache, dass die Stelle drittmittelfinanziert ist berechtigt den Arbeitgeber zur Befristung, auch wenn die Finanzierung weiterläuft. Nach § 2 Abs. 2 WissZeitVG soll die vereinbarte Befristungsdauer dem bewilligten Projektzeitraum entsprechen, muss aber nicht.
Lange Zeit heiß umstritten war die Frage: Müssen sich auch diese Konstellationen einer Missbrauchskontrolle stellen? Ist die (im Prinzip unbegrenzte) Befristung wegen Drittmittelfinanzierung mit Unionsrecht vereinbar?Hier wurde von Wissenschaft und teilweise von der Rechtsprechung argumentiert, Bedenken greifen nicht durch, solange wirklich eine drittmittelfinanzierte Stelle vorlege, sei eine solche Befristung nicht angreifbar, unabhängig davon wie lange, unabhängig davon wie viele Einzelverträge.
BAG: Rechtsmissbrauchskontrolle auch im WissZeitVG
Dieser Meinungsstreit ist mittlerweile schon längst entschieden:
Das Bundesarbeitsgericht sagt ganz eindeutig und unmissverständlich: auch auf die Drittmittelfinanzierung im Wissenschaftszeitvertragsgesetz findet die Missbrauchskontrolle volle Anwendung.
In seiner eigentlich nicht mehr ganz neuen Entscheidung aus dem Jahr 2016 (BAG, Urteil vom 8. 6. 2016 – 7 AZR 259/14) hat das Bundesarbeitsgericht die Regeln seiner Missbrauchskontrolle, insbesondere:
- Sichtung der Gesamtumstände,
- Anzahl der Einzelbefristungen,
- Dauer der Gesamtbefristung
ganz selbstverständlich auch auf eine Drittmittel Befristung nach dem WissZeitVG angewandt.
Die Praxis in der Arbeitswelt und auch vor Gericht
Doch hat diese Rechtsprechung offensichtlich die Praxis bislang kaum erreicht. Im Rahmen des Wissenschaftszeitvertragsgesetz kommt es immer noch zu Jahrzehntelangen Befristungen. Oftmals schöpfen Universitäten zunächst die Befristung nach § 2 Abs, 1 WissZeitVG, also die Befristung vor der Promotion und die Befristungen nach der Promotion, voll aus (mitunter werden diese Fristen sogar überschreiten).
Im Anschluss daran wird der Arbeitnehmer wegen einer drittmittelfinanzierten Forschung weiter befristet angestellt. Nicht selten stellen sich Vertreter der Universität außergerichtlichen und sogar noch im gerichtlichen Prozess auf den Standpunkt, die Missbrauchskontrolle gelte nicht für das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Dieses Gesetz sei eine Sonderregelung, die den besonderen Umständen der wissenschaftlichen Arbeit und Forschung geschuldet sei - und damit der profanen Missbrauchskontrolle gemeinen Arbeitsverhältnissen entrückt.
Mitunter haben auch erstinstanzliche Gerichte noch Schwierigkeiten mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Rechtsstreitigkeiten in diesem Bereich sind nicht alltäglich, Detailfragen, wie die verschiedenen Befristungsarten und insbesondere Fragen der rechtsmissbräuchlichen Anwendung nicht geläufig.
Arbeitgeber, renommierte Forschungseinrichtungen oder Universitäten von höchstem Ansehen, beharren auf dem Standpunkt, eine Missbrauchskontrolle sei gar nicht angezeigt. Nicht selten kann dieser Irrtum erst in der zweiten Instanz aufgeklärt werden.
Spätestens aber vor den Landesarbeitsgerichten wird den Arbeitgebern klar (gemacht), dass die Missbrauchskontrolle des Bundesarbeitsgerichts auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz vollumfänglich Anwendung findet.
Die Befristungsampel
In der sog. „Befristungsampel“ hat Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15) noch im gleichen Jahr, aber nach der Entscheidung zum WissZeitVG, dann Detailfragen zur Missbrauchskontrolle von Kettenbefristungen geklärt. Allerdings bezieht sich diese Entscheidung auf eine herkömmliche Befristung.
Unter Berücksichtigung der unmittelbar zuvor getroffenen Entscheidung, dass auch Befristungen im WissZeitVG der Missbrauchskontrolle unterliegen, dürfte jedoch klar sein, dass auch die Befristungsampel auf Befristungen nach dem WissZeitVG Anwendungen findet.
Das BAG hat dem Grundsatz: je mehr Einzelverträge vorliegen und je länger die Gesamtdauer der Beschäftigung ist, umso eher ist ein Rechtsmissbrauch wahrscheinlich, mit ganz konkreten Kriterien untermauert:
„Rot“: indizierter Rechtsmissbrauch
- Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses mehr als 10 Jahre oder
- mehr als 15 Vertragsverlängerungen oder
- mehr als 12 Vertragsverlängerungen in mehr als 8 Jahren
„Gelb“: umfassende Missbrauchskontrolle
- Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses mehr als 8 oder
- mehr als 12 Vertragsverlängerungen oder
- mehr als 9 Vertragsverlängerungen in mehr als 6 Jahren vorliegen
„Grün“: kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle
Bei entsprechend kürzerer Dauer oder weniger Vertragsverlängerungen
Häufige Kettenbefristungen in der Praxis
Egal ob Unwissenheit oder Kalkül bei den Arbeitgebern dahintersteckt: Sicher ist, dass eine Vielzahl der in der Praxis laufenden befristete Verträge im Rahmen des Wissenschaftszeitvertragsgesetz einer gerichtlichen Rechtsmissbrauchskontrolle niemals standhalten würde.
Auch bei Arbeitnehmern herrscht oftmals die Vorstellung vor, eine Kettenbefristung in der Wissenschaft sei normal und rechtmäßig, juristischen Mittel nicht gegeben. Dies ist tatsächlich falsch.
Fazit: Komplizierte Materie – Experten helfen!
Auch in der Wissenschaft unterliegen Konstellationen, in denen Arbeitsverhältnisse aus einer Vielzahl einzelvertragliche Befristungen über Jahre hinweg bestehen, einer Missbrauchskontrolle und sind nicht selten erfolgreich angreifbar, auch wenn man mitunter bis in die zweite Instanz muss.
Da erstinstanzliche Gerichte mit der speziellen Materie nicht immer vertraut sind, die Fallverstrickungen oft vielschichtig sind und einer ausführlichen Aufarbeitung bedürfen, empfehlen wir, dass man sich frühzeitig an einen Fachanwalt für Arbeitsrecht wendet. Aber selbst unter Fachanwälten ist das WissZeitVG eine Spezialmaterie, deswegen sollte man darauf achten einen Experten mit Erfahrung auf diesem Gebiet aufzusuchen.
Die Kanzlei Kupka & Stillfried hat bereits eine Vielzahl von Fällen dieser Art über mehrere Instanzen begleitet und steht Ihnen gerne für Fragen und Probleme zur Verfügung!