Celle. Im Rahmen des Rechts auf Selbstbestimmung haben Menschen mit Behinderungen ein weitgehendes Wunsch- und Wahlrecht bei der Versorgung mit Hilfsmitteln. So darf beispielsweise eine Krankenkasse einen Rollstuhlfahrer nicht auf einen Elektrorollstuhl verweisen, wenn dieser sich ein elektrisch unterstütztes Rollstuhlzuggerät wünscht, das für die Fortbewegung ebenso geeignet ist, entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) in Celle in einem am Montag, 10. Oktober 2022, bekanntgegebenen Urteil (Az.: L 16 KR 421/21).
Im streitigen Fall handelte es sich um einen 49-jährigen querschnittsgelähmten Rollstuhlfahrer, der zuvor zusätzlich zu seinem Aktivrollstuhl ein mechanisches Zuggerät, ein sogenanntes Handbike, von einer Krankenkasse bekommen hatte. Als seine Kräfte schwächer wurden und seine Schulterschmerzen zunahmen, beantragte er bei seiner Krankenkasse ein elektrisch unterstütztes Zuggerät. Dafür beliefen sich die Kosten auf 8.630 Euro.
Von der Krankenkasse wurde dies abgelehnt. Sie bot dem Mann stattdessen einen elektrischen Rollstuhl an. Ein elektrisch unterstütztes Handbike stelle eine „Überversorgung“ dar. Eine Basismobilität könne auch durch einen Elektrorollstuhl sichergestellt werden, der nur die Hälfte koste.
Für den Rollstuhlfahrer stellte die damit verbundene rein passive Fortbewegung keine Alternative dar. Daher klagte er auf Übernahme der Kosten für ein elektrisch unterstütztes Zuggerät.
Gemäß dem Urteil vom 13. September 2022 verpflichtete das LSG die Krankenkasse dazu, die Kosten für das gewünschte Hilfsmittel zu übernehmen. Krankenkassen dürfen Versicherten nicht gegen deren Willen auf den Einsatz eines Elektrorollstuhls zur Erschließung des Nahbereichs verweisen. Der Kläger benötige auch elektrische Unterstützung für seine Mobilitätsbedürfnisse. Nach einer grundrechtsorientierten Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention sei dem Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen „volle Wirkung“ zu verschaffen.
Dabei müsse viel Raum für eine eigenverantwortliche Gestaltung der Lebensumstände gelassen sowie die Selbstbestimmung gefördert werden. Laut LSG in seinem bereits schriftlich veröffentlichten Urteil würde es seinem Selbstbestimmungsrecht widersprechen, wenn der Kläger mit einem von ihm nicht erwünschten elektrischen Rollstuhl versorgt werden würde.
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