Mit Urteil vom 20. März 2025 hat das Landgericht München II einen Unterlassungsantrag einer niederländischen Online-Apotheke gegen einen lokalen Apotheker aus dem Isarwinkel abgewiesen. Streitpunkt waren Äußerungen über wirtschaftliche Unterschiede zwischen stationären und Online-Apotheken, die in einem Interview mit einer überregionalen Zeitung erschienen waren. Der Fall beleuchtet die Schnittstelle zwischen Meinungsfreiheit und Wettbewerbsrecht.
Kritische Äußerungen über Online-Apotheken: Sachverhalt und Antragsgegenstand
Der Apotheker äußerte in dem Interview, dass Online-Apotheken geringere Betriebskosten und Steuerabgaben hätten sowie eine eingeschränkte Beratungsleistung anbieten würden. Er charakterisierte sie unter anderem als "Schmarotzer unseres Steuersystems".
Die Online-Apotheke bewertete diese Aussagen als rufschädigend und klagte auf Unterlassung. Das Gericht hatte daher zu klären, ob diese Äußerungen noch unter die geschützte Meinungsfreiheit fallen oder ob sie unlauteren Wettbewerb darstellen.
Entscheidungsgründe des Gerichts
Das Urteil des Landgerichts München II (Az. 2 HK O 627/25) stellt klar:
- Keine wettbewerbsrechtliche Relevanz
Das Interview im Lokalteil einer überregionalen Zeitung stellte keine geschäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG dar, da es primär der sachlichen Meinungsäußerung diente. - 2. Wahrheitsgehalt der Tatsachenbehauptungen
Die Antragstellerin konnte nicht widerlegen, dass:
- Arzneimittel in Deutschland mit 19 % (vs. 9 % in NL) besteuert werden
- Niederländische Unternehmen keine deutsche Gewerbesteuer zahlen
- Persönliche Beratungsleistungen vor Ort qualitätsrelevant sind
- Zulässigkeit wertender Äußerungen
Der Ausdruck „Schmarotzer“ wurde als polemische Zuspitzung im Rahmen der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gewertet. Das Gericht sah darin eine zulässige Kritik an strukturellen Wettbewerbsnachteilen stationärer Apotheken.
Rechtliche Einordnung: Meinungsäußerung oder unzulässige Wettbewerbshandlung?
- Abgrenzung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung: Das Rechtssystem unterscheidet strikt zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Erstere können bei Unwahrheit untersagt werden, während Letztere grundsätzlich dem Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) unterliegen. Das LG München II bewertete die strittigen Aussagen als Werturteile. Es sei keine tatsächliche Behauptung über Steuervergehen zu erkennen (Schmarotzer).
- Wettbewerbsrechtliche Beurteilung: Auch im Kontext des Wettbewerbsrechts sind kritische Äußerungen erlaubt, sofern sie nicht über die Grenze zur Schmähkritik hinausgehen oder bewusst falsche Tatsachen verbreiten. Das Gericht betonte, dass überzogene und auch scharf formulierte Kritik von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Das LG München II sah die Grenzen nicht überschritten und hob die besondere Rolle der Meinungsfreiheit im Wettbewerb hervor.
Relevanz des Urteils für die Praxis
Der mit Stand 22. April 2025 noch nicht rechtskräftige Beschluss des LG München II stellt klar, dass die Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsumfeld ein hohes Gut ist. Unternehmer dürfen über Missstände offen sprechen, solange sie sachlich bleiben und keine unwahren Tatsachen verbreiten.
Das Urteil bestätigt, dass Apotheker und andere Marktteilnehmer im öffentlichen Diskurs berechtigt sind, Kritik zu üben. Auch im Wettbewerb zwischen stationären und Online-Angeboten ist eine kritische Auseinandersetzung Teil der demokratischen Meinungsbildung.
Medien profitieren ebenfalls von der Entscheidung, da sie kontroverse Beiträge im Rahmen des rechtlich zulässigen weiterhin verbreiten dürfen.
Gleichzeitig verdeutlicht das Urteil, dass bei öffentlichen Äußerungen die Trennlinie zwischen zulässiger Kritik und unzulässiger Schmähkritik beachtet werden muss. Wer tatsächlich unwahre Behauptungen verbreitet oder in herabwürdigender Weise äußert, muss weiterhin mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.
Tipp: Formulieren Sie öffentliche Kritik stets als Werturteil und vermeiden Sie tatsachenbezogene Behauptungen ohne gesicherte Grundlage – dies stärkt den rechtlichen Schutz Ihrer Aussagen.
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