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Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe: BAG stärkt Arbeitnehmerrechte

Das Bundesarbeitsgericht stellt mit Urteil vom 19.Februar 2025 klar: Eine verspätete oder unterlassene Zielvorgabe stellt eine schuldhafte Pflichtverletzung dar, die einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i. V. m. § 283 Satz 1 BGB begründen kann. Dabei wird auch klargestellt, dass eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Anreiz- und Motivationsfunktion nicht mehr erfüllen kann.

Argumentation des Gerichts zu Schadenshöhe bei verspäteter Zielvorgabe

Bemerkenswert ist auch die Argumentation des Gerichts zur Schadenshöhe: Diese darf geschätzt werden. Im konkreten Fall nahm das BAG an, dass der Arbeitnehmer bei rechtzeitiger Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100 Prozent und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 Prozent erreicht hätte. Diese Annahme betont die Bedeutung hypothetischer Leistungserwartungen im arbeitsrechtlichen Schadensersatz.

Konsequenzen für die Unternehmenspraxis

Arbeitgeber müssen Zielvorgaben systematisch planen

Das Urteil (AZ: 10 AZR 57/24) hat weitreichende Bedeutung für Unternehmen, die variable Vergütungssysteme einsetzen. Zielvereinbarungen dürfen nicht als bloße Formalität betrachtet werden. Arbeitgeber sind verpflichtet, sie rechtzeitig, transparent und nachweisbar mit ihren Mitarbeitenden zu treffen. Andernfalls riskieren sie nicht nur rechtliche Konsequenzen, sondern auch ein Vertrauensdefizit innerhalb der Belegschaft.

Zudem sollten Unternehmen prüfen, ob ihre derzeitigen Prozesse zur Zielvereinbarung praxistauglich sind. Besonders in agilen oder hybriden Arbeitsumgebungen besteht erhöhter Handlungsbedarf, um Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen.

Haftungsrisiken bei organisatorischen Versäumnissen

Gerade in größeren Organisationen mit komplexen Zielhierarchien besteht das Risiko, dass Zielvorgaben verspätet oder unvollständig kommuniziert werden. Dieses Urteil mahnt zur Sorgfalt: Organisatorische Mängel bei der Zielvorgabe können haftungsauslösend sein. Die Pflicht zur Zielvorgabe ist nicht delegierbar. Auch wenn operative Verantwortung bei den direkten Vorgesetzten liegt, bleibt insgesamt der Arbeitgeber in der Haftung.

Darüber hinaus zeigt das Urteil, dass die Rechtsprechung zunehmend auch sogenannte Soft Skills in der Führung rechtlich einordnet. Der funktionale Aspekt von Mitarbeiterführung wird damit Bestandteil der Vertragstreue.

Keine Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers

Ein weiterer Punkt des Urteils verdient besondere Beachtung: Die Initiative zur Zielvereinbarung liegt ausschließlich beim Arbeitgeber. Ein Mitverschulden des Arbeitnehmers scheidet in der Regel aus. Das schafft eine klare Verantwortungszuweisung. Selbst wenn Mitarbeitende ihrerseits Interesse an Zielvereinbarungen bekundet haben, befreit dies den Arbeitgeber nicht von seiner Pflicht zur aktiven Gestaltung des Prozesses.

Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe: Ein Weckruf für HR und Führung

Insbesondere Personalabteilungen und Führungskräfte sollten das Urteil zum Anlass nehmen, interne Prozesse zu überprüfen. Folgende Maßnahmen bieten sich an:

  • Frühzeitige Planung der Zielvereinbarungen vor Beginn des neuen Kalenderjahres
  • Schriftliche Dokumentation der Zielvorgabe und der Kommunikation an die Mitarbeitenden
  • Schulungen für Führungskräfte zur rechtlichen Bedeutung der Zielvorgabe
  • Implementierung digitaler Tools zur Fristenüberwachung und Zielverfolgung
  • Einbindung des Betriebsrats zur Absicherung der Verfahren

Die rechtliche und administrative Relevanz der Zielvereinbarung sollte auch in internen Compliance-Richtlinien verankert werden. Es empfiehlt sich, standardisierte Zeitpläne für Zielgespräche zu etablieren und diese unternehmensweit zu kommunizieren.

Tipp für Arbeitgeber

Prüfen Sie Ihre internen Abläufe zur Zielvorgabe. Nur wer nachweisen kann, dass die Ziele rechtzeitig, nachvollziehbar und wirksam kommuniziert wurden, kann Haftungsrisiken vermeiden. Berücksichtigen Sie dabei auch Urlaubszeiten, Projektzyklen und betriebliche Umstrukturierungen, die eine frühzeitige Zielvereinbarung erschweren könnten.

Zusammenfassung

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts sorgt für Klarheit: Die Zielvorgabe ist kein unverbindliches Führungsinstrument, sondern ein rechtlich relevanter Bestandteil arbeitsvertraglicher Pflichten. Arbeitgeber, die dieser Pflicht nicht ordnungsgemäß nachkommen, müssen mit erheblichen finanziellen Konsequenzen rechnen. Wer variable Vergütungssysteme einsetzt, muss sicherstellen, dass sie den arbeitsrechtlichen Anforderungen entsprechen. Das BAG-Urteil ist nicht nur juristisch relevant, sondern auch ein Signal für mehr Verbindlichkeit in der Mitarbeiterführung. Es unterstreicht, dass moderne Personalsteuerung mit rechtskonformer Umsetzung einhergehen muss. Unternehmen, die dies beherzigen, stärken nicht nur ihre Rechtssicherheit, sondern auch die Performance ihrer Organisation.

Symbolgrafik:© Zerbor - stock.adobe.com

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