Sozialrecht

Sozialhilfebezieher müssen für Sterbefall vorsorgen können

28.09.2023
 (1)
Zuletzt bearbeitet am: 28.09.2023

Kassel (jur). Sozialhilfebezieher mit einer Rente oder anderen Einkünften müssen zur Entlastung von Angehörigen Vorsorge für ihren Sterbefall treffen können. Sozialämter dürfen daher bei der Berechnung ihrer Leistungen die Berücksichtigung einer angemessenen Sterbegeldversicherung nicht unnötig erschweren, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in zwei am Donnerstag, 21. September 2023, bekanntgegebenen Urteilen vom Vortag (Az.: B 8 SO 22/22 R und B 8 SO 19/22 R). 

Im ersten Verfahren hatte die klagende, 1940 geborene Rentnerin im September 2015 eine Sterbegeldversicherung abgeschlossen. Hierfür zahlte sie monatlich 53,68 Euro ein. Im Sterbefall sollte ihre Tochter widerruflich das Sterbegeld mit einer Versicherungssumme von 4.000 Euro erhalten, damit diese die Bestattungskosten schultern kann. 

Als die Rentnerin im Dezember 2016 vom Landkreis Karlsruhe Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung beantragte, wollte sie die Beiträge ihrer Sterbegeldversicherung einkommensmindernd berücksichtigen lassen. Bei der Berechnung der Sozialhilfeleistungen sollten die Beiträge von ihrer Altersrente in Höhe von 465 Euro monatlich abgezogen werden. Der Landkreis sollte so mehr Sozialhilfe zahlen. 

Doch die Behörde lehnte dies ab. Die Beiträge zur Sterbegeldversicherung seien zu hoch und nicht angemessen. Außerdem sei die Tochter auf Widerruf bezugsberechtigt gewesen. Damit werde nicht ausreichend gewährleistet, dass das Sterbegeld für die Bestattung eingesetzt werde. 

Auch im zweiten Fall wurde eine 1960 geborene, voll erwerbsgeminderte Rentnerin vom Sozialhilfeträger abgewiesen. Die Frau, die an einer fortschreitenden Nervenerkrankung, dem Guillain-Barré-Syndrom leidet, lebt von einer Erwerbsminderungsrente und ergänzenden Sozialhilfeleistungen. Sie wollte eine Sterbegeldversicherung neu abschließen und die Beiträge in Höhe von monatlich 27,32 Euro einkommensmindernd berücksichtigen lassen. 

Das Land Berlin meinte, dass die Sterbegeldversicherung vor dem Sozialhilfebezug abgeschlossen werden müsse, damit die Beitragszahlungen berücksichtigt werden könnten. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. 

Das BSG stellte in beiden Verfahren jedoch klar, dass Beiträge zur Sterbegeldversicherung, anders als andere kapitalbildende Versicherungen, nach dem Gesetz privilegiert seien. Der Gesetzgeber habe sicherstellen wollen, dass Sozialhilfebezieher von ihrem Geld aus eigenen Einkünften Vorsorge für ihren Sterbefall treffen können. 

Im ersten Streitfall habe die Klägerin Anspruch darauf, dass die Beitragszahlungen einkommensmindernd berücksichtigt werden. Voraussetzung hierfür sei, dass die Versicherungsleistungen tatsächlich für den Bestattungsfall eingesetzt werden. Ausreichend sei, dass ein bestattungspflichtiger Erbe wie hier die Tochter bezugsberechtigt sei. Die Versicherungssumme von 4.000 Euro sei auch angemessen. 

Den zweiten Fall verwiesen die Kasseler Richter an das Landessozialgericht (LSG) Potsdam zurück. Grundsätzlich könne eine Sterbegeldversicherung auch berücksichtigt werden, wenn sie erst nach Beginn des Sozialhilfebezugs abgeschlossen werde. Erforderlich sei dann aber ein Anlass dafür, dass „Vorsorge für die Sicherstellung der Beerdigungskosten“ getroffen werden. Dies könne eine „zeitliche Nähe zum Vorsorgefall“ wegen hohen Alters oder auch wegen einer Erkrankung sein. Ob dies hier wegen der fortschreitenden Nervenerkrankung der Fall ist, müsse das LSG ebenso prüfen, wie die Angemessenheit der Beiträge zur Sterbegeldversicherung. 

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

Symbolgrafik:© Gina Sanders - stock.adobe.com

Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor





Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Sozialrecht Anspruch auf operative Stimmerhöhung bei Transsexualität

Augsburg (jur). Eine Mann-zu-Frau transsexuelle Versicherte kann auf Krankenkassenkosten eine stimmerhöhende Operation zur Geschlechtsangleichung verlangen. Voraussetzung hierfür ist, dass sie bei einem äußerlich eindeutig weiblichen Erscheinungsbild eine männliche Stimme hat und nur der operative Eingriff den bestehenden psychischen Leidensdruck mindern kann, entschied das Sozialgericht Augsburg in einem am Donnerstag, 16. November 2023, veröffentlichten Urteil (Az.: S 12 KR 462/21).  Die Klägerin hatte sich 2018 wegen ihrer Mann-zu-Frau-Transsexualität einer geschlechtsangleichenden Operation in Form einer Genitalangleichung und eines operativen Brustaufbaus ... weiter lesen

Sozialrecht Schwerbehindertenausweis bei psychischer Erkrankung nur befristet

Stuttgart (jur). Auch bei einer seit vielen Jahren bestehenden psychischen Erkrankung können Betroffene regelmäßig keinen unbefristeten Schwerbehindertenausweis verlangen. Denn es kann auch dann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass wieder eine Besserung des Gesundheitszustandes eintritt und der Grund für die Schwerbehinderung damit entfällt, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 29. September 2023 (Az.: L 8 SB 1641/23).  Geklagt hatte eine 59-jährige Frau, die unter anderem an Depressionen und einer Zwangsstörung verbunden mit Zwangshandlungen und -gedanken erkrankt ist. Ihr ... weiter lesen

Sozialrecht Jobcenter muss bei stark erhöhten Heizölpreisen Nachschlag zahlen

Hannover (jur). Jobcenter müssen bei außergewöhnlich stark gestiegenen Heizölpreisen eine höhere Brennstoffbeihilfe für in ihrem Eigenheim wohnende Langzeitarbeitslose gewähren. Dies gilt zumindest dann, wenn die höheren Aufwendungen für Heizöl nicht auf unwirtschaftlichem und unangemessenem Heizverhalten beruhen, entschied das Sozialgericht Hannover in einem aktuell veröffentlichten Urteil vom 17. Mai 2023 (Az.: S 38 AS 1052/22).  Im Streitfall war der im Landkreis Hameln-Pyrmont lebende 60-jährige Kläger auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, dem heutigen Bürgergeld angewiesen. Der alleinstehende Mann bewohnt eine 120 Quadratmeter großes, mit einer ... weiter lesen

Sozialrecht Landesblindengeldrückzahlung bei nicht mitgeteiltem Umzug

Stuttgart (jur). Melden blinde oder sehbehinderte Menschen dem zuständigen Träger nicht ihren Umzug in ein anderes Bundesland, sind sie zur Rückerstattung des bis dahin erhaltenen Landesblindengeldes verpflichtet. Es reicht nicht aus, dass der blinde Mensch beim Ordnungsamt seinen Umzug anzeigt, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am Montag, 30. Oktober 2023, veröffentlichten Urteil (Az.: L 7 BL 2488/20).   Die blinde Klägerin lebte bis Ende Juni 2018 in Sachsen. Dort wurde ihr von der zuständigen Kommune Landesblindengeld in Höhe von monatlich 350 Euro bewilligt. In dem entsprechenden Bescheid wurde ausdrücklich darauf ... weiter lesen

Ihre Spezialisten