Handelsrecht und Gesellschaftsrecht

Stimmverbot des Gesellschafter-Geschäftsführers bei der Abberufung aus wichtigem Grund

27.04.2018
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Mit Urteil vom 4.4.2017 – II ZR 77/16 hat BGH hinsichtlich Stimmverbotsregeln im Rahmen von Beschlussstreitigkeiten folgende bemerkenswerte Entscheidung getroffen:

„Bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen, die die Abberufung oder die Kündigung des Anstellungsvertrags eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH aus wichtigem Grund betreffen, ist darauf zu abzustellen, ob tatsächlich ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag oder nicht.

Das Vorliegen des wichtigen Grunds hat im Rechtsstreit derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich darauf beruft.“

 

A. Der Ausgangsfall

Der vom BGH zu entscheidende Rechtsstreit war ein sogenannter „Beschlussmängelprozess“.

Der Kläger war mit 49 % am Stammkapital der beklagten GmbH beteiligt.

51 % hielt ein seit 2002 zum Alleingeschäftsführer bestellter Mitgesellschafter.

Die Satzung der Beklagten legte die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer ausdrücklich in die Hand der Gesellschafterversammlung, die Versammlungsleitung in die Hand des Gesellschafters mit dem höchsten Stimmanteil.

Die Tagesordnung einer vom Geschäftsführer einberufenen Gesellschafterversammlung war auf Antrag des Klägers um die Tagesordnungspunkte „Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund“, „fristlose Kündigung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrags“ und „Bestellung des Klägers zum neuen Geschäftsführer“ erweitert worden.

Der Kläger hatte für, der Geschäftsführer hatte gegen diese Beschlussanträge gestimmt, worauf der Geschäftsführer in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter die Ablehnung der Anträge als beschlossen festgestellt hatte.

Gegen die so festgestellten Beschlüsse richtete sich die Anfechtungsklage, verbunden mit einer auf Abberufung und Kündigung lautenden positiven Beschlussfeststellungsklage.

Die Klage blieb in allen Instanzen – die Revision eingeschlossen – erfolglos.

 

B. Abberufungsbeschluss und Stimmverbot

I. Stimmverbot nur bei außerordentlicher Abberufung

Dass der Geschäftsführer-Gesellschafter bei der Beschlussfassung über seine Abberufung aus wichtigem Grund – und ebenso bei der Beschlussfassung über die außerordentliche Kündigung seines Dienstverhältnisses – einem Stimmverbot unterliegt, ist unstreitig.

Unstreitig ist auch, dass es bei einer Beschlussfassung über die ordentliche Abberufung ein solches Stimmverbot nicht gibt, denn die Bestellung und ebenso die Abberufung eines Geschäftsführers – auch eines Gesellschafter-Geschäftsführers – ist ein alle Gesellschafter betreffender und von allen zu entscheidender korporativer Akt, an dem mitzuwirken alle Gesellschafter mitgliedschaftlich berufen sind, solange nicht – wie bei der Abberufung aus wichtigem Grund – das Verbot des „Richtens in eigener Sache“ im Wege steht.

Wegen dieses elementaren Unterschieds zwischen der „ordentlichen“ und der „außerordentlichen“ Abberufung eines Geschäftsführer-Gesellschafters tritt immer wieder die schwierige Frage auf, wie sich die Abberufung aus wichtigem Grund von der ordentlichen, das Stimmrecht nicht ausschließenden Abberufung unterscheiden lässt.

 

C. Umstrittene Voraussetzungen des Stimmverbots

I.

Eine verbreitete Auffassung steht auf dem Standpunkt, der wichtige Grund müsse als Grund für den Stimmrechtsausschluss objektiv vorhanden sein. Wo es daran fehle, gebe es auch kein Stimmverbot.

Überwiegend wird daraus gefolgert, diese objektive Voraussetzung des Stimmverbots sei vom Versammlungsleiter bei der Stimmenauswertung im Zuge der Beschlussfeststellung zu prüfen.

Dieselbe Prüfung obliegt konsequenterweise auch den Gerichten, wenn es nachträglich in einem Anfechtungsprozess auf die Richtigkeit der Stimmenzählung und damit auf das Stimmverbot ankommt.

So hatte es im Ausgangsfall das Landgericht gesehen und eine Verletzung des § 47 Abs. 4 GmbHG (Stimmverbot) mangels wichtigen Grunds verneint.

II.

Von der auf das objektive Vorhandensein des wichtigen Abberufungsgrunds abhebenden Ansicht unterscheidet sich die Gegenposition, nach der das Stimmverbot bereits dann zum Zuge kommt, wenn über eine Abberufung aus wichtigem Grund abgestimmt werden soll.

Der Unterschied ist darin zu sehen, dass der Versammlungsleiter bei der Feststellung des Stimmrechts nicht das Vorliegen des Abberufungsgrunds prüfen muss, sondern sich mit der Feststellung begnügen kann, dass im Beschlussverfahren der Gesellschafterversammlung ein solcher Grund geltend gemacht wird.

III.

Der BGH lässt dahingestellt, ob das Stimmverbot einen objektiv vorhandenen Abberufungsgrund oder nur dessen Behauptung voraussetzt.

Nicht über das Stimmverbot sei nämlich im Anfechtungsprozess zu entscheiden, sondern darüber, ob im Zeitpunkt der Beschlussfassung „tatsächlich ein wichtiger Grund ... vorlag oder nicht“.

Damit nimmt der BGH der dargestellten Diskussion um das Stimmverbot den Wind aus den Segeln, denn selbst wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten an der Stimmrechtsausübung gehindert gewesen sei, komme es für das Ergebnis des Rechtsstreits doch nicht hierauf, sondern allein auf den geltend gemachten Abberufungsgrund an.

 

D. Stimmverbot und materielle Beschlusskontrolle

Die Lösung dieser Frage liegt in der Unterscheidung zwischen der Rechtmäßigkeit der Ausschließung einerseits und der Frage des Stimmrechts und der festgestellten Stimmenmehrheit andererseits.

War der Gesellschafts-Geschäftsführer im Ausgangsfall vom Stimmrecht ausgeschlossen, so galt dies für eine Ja-Stimme ebenso wie für eine Nein-Stimme.

Bestand aber kein wichtiger Abberufungsgrund, so konnte das Gericht aus materiellen Gründen so oder so nicht auf Abberufung aus wichtigem Grund erkennen.

Anfechtungsgegenstand war ein vom Versammlungsleiter festgestellter, die beantragte Abberufung mit den Stimmen des Betroffenen ablehnender Beschluss.

Da die Anfechtung eines negativen nicht automatisch auch auf Herstellung eines positiven Beschlusses zielt, hatte der Kläger mit der Anfechtungsklage die sogenannte positive Beschlussfeststellungsklage verbunden.

Der gegen den vom Versammlungsleiter festgestellten Beschluss geführte Angriff konnte zunächst auf der formalen Ebene der Beschlussfassung geführt werden.

Soweit das Stimmverbot eines Gesellschafter-Geschäftsführers reicht, ist die Abgabe seiner Nein-Stimme nichtig und bei der Ergebnisfeststellung nicht mitzurechnen.

Erfolg konnte die auf Abberufung zielende Klage aber nur dann haben, wenn die begehrte Abberufung und damit die Feststellung eines Abberufungsbeschlusses statt des vom Versammlungsleiter festgestellten Ablehnungsbeschlusses rechtens gewesen wäre, d. h. wenn tatsächlich ein wichtiger Grund vorgelegen hätte.

 

D. Entscheidung des BGH

I.

Als Hauptargument für die „objektive“ Bestimmung des Stimmverbots wird vorgetragen, niemandem könne mit bloßen Behauptungen sein Stimmrecht abgeschnitten werden.

Ohne Zweifel kann es nicht zugelassen werden, dass die bloße Behauptung des wichtigen Abberufungsgrunds den Geschäftsführer-Gesellschafter von Rechts wegen wehrlos gegen die Abberufung macht, ihn also der Willkürentscheidung der stimmberechtigten Gesellschafter aussetzt.

Aber hiergegen schützt ihn nicht die Ausübung seines Stimmrechts, sondern die Tatsache, dass eine rechtmäßige Abberufung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund das Vorhandensein dieses Grunds voraussetzt.

II.

Die Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter hängt von der Mitzählung oder Nicht-Mitzählung der vom Geschäftsführer abgegebenen Nein-Stimmen ab.

Der Versammlungsleiter muss also prüfen, ob der Gesellschaftergeschäftsführer von einem Stimmrecht Gebrauch machen konnte oder nicht.

Die Prüfungskompetenz des Versammlungsleiters endet mit der Feststellung, dass über eine Abberufung aus wichtigem Grund abgestimmt werden soll.

Die materielle Berechtigung der Abberufungsentscheidung ist von dieser Kompetenz nicht umfasst.

III.

Ungeachtet der bisher angestellten Überlegungen kam es für das Prozessergebnis im Ausgangsfall auf das Vorhandensein des wichtigen Abberufungsgrunds – bzw. auf dessen festgestelltes Nicht-Vorhandensein – an.

Zu den Grundregeln der „positiven Beschlussfeststellungsklage“ gehört nämlich, dass das Gericht einen Beschlussinhalt nur dann „feststellen“ kann, der seinerseits einem Beschlussmängelprozess standhalten würde.

 

E. Bedeutung für die Praxis

I.

Die gerichtliche Feststellung, dass der gegen einen Gesellschafter-Geschäftsführer erhobene Vorwurf eines wichtigen Abberufungsgrunds objektiv unbegründet ist, schließt die gerichtliche Feststellung des beantragten Abberufungsbeschlusses aus.

II.

Der BGH hat sich nicht auf die vielfach vertretene Auffassung festgelegt, nach der das einem Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beschlussfassung über seine Abberufung aus wichtigem Grund auferlegte Stimmverbot das objektive Vorhandensein dieses wichtigen Grunds voraussetzt.

III.

Zwischen der gerichtlichen Beschlusskontrolle wegen unberechtigter Mitzählung der von einem befangenen Gesellschafter abgegebenen Stimme und der auf das Beschlussergebnis zielenden materiellen Beschlussinhaltskontrolle ist gerade bei der Beschlussfassung über einen Abberufungsantrag aus wichtigem Grund streng zu unterscheiden.

Gerne stehe ich Ihnen persönlich für eine umfassende Beratung zur Verfügung.

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V. i. S. d. P.:

Rechtsanwalt Jörg Streichert

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