Ein Traditionskonzern steht vor dem tiefgreifendsten Wandel seiner Geschichte. Anstelle eines Jubiläums zur 25-jährigen Fusion von Thyssen und Krupp droht ein drastischer Umbruch: Das Essener Unternehmen plant, sich in eine reine Holdingstruktur umzuwandeln – mit massiven Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Standorte und ganze Geschäftsbereiche.
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brechen unsichere Zeiten an. Die wichtigsten arbeitsrechtlichen Informationen, Risiken und Handlungsmöglichkeiten im Überblick.
Geplante Strukturreform: Von der Industrieikone zur leeren Hülle
Thyssenkrupp will sich von einem breit aufgestellten Industriekonzern zu einer „Dachgesellschaft ohne operatives Geschäft“ entwickeln. Zahlreiche Sparten sollen verkauft, ausgelagert oder abgewickelt werden. Betroffen sind insbesondere:
Konzernzentrale Essen: Nur noch rund 100 der bisher 500 Stellen sollen bleiben
Verwaltung: Wegfall von rund 1.000 Stellen
Stahlsparte (16.000 MA): Verkauf an Investor geplant
Marinegeschäft (TKMS): Börsengang und Ausgliederung geplant
Stahlhandel (16.000 MA): Vorbereitung zweiter Börsengang
Autozulieferung: Teilverkäufe oder Stilllegungen
Rechtliche Folgen: Was ist eine „Betriebsänderung“?
Solche gravierenden Einschnitte gelten arbeitsrechtlich als Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG. Das bedeutet:
Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat umfassend beteiligen
Es sind Verhandlungen über einen Interessenausgleich (Maßnahmen zur Abmilderung der Folgen) erforderlich
Scheitern die Gespräche, kann eine Einigungsstelle oder das Arbeitsgericht angerufen werden
Wichtig: Der Umbau zur Holding darf nicht einseitig erfolgen, ohne die Mitbestimmung des Betriebsrats.
Arbeitsplatzwechsel oder Kündigung: Was gilt beim Betriebsübergang?
Wird ein Geschäftsbereich an einen neuen Eigentümer verkauft oder ausgegliedert, liegt ein sogenannter Betriebsübergang nach § 613a BGB vor. Das heißt für Arbeitnehmer:
Arbeitsverträge bleiben unverändert bestehen
Rechte und Pflichten gehen automatisch auf den neuen Arbeitgeber über
Eine Kündigung allein wegen des Übergangs ist unzulässig
Sollte der Erwerber dennoch kündigen wollen, gelten weiterhin die strengen Vorgaben des Kündigungsschutzgesetzes (§ 1 KSchG) – insbesondere müssen soziale Kriterien berücksichtigt und eine ordnungsgemäße Sozialauswahl getroffen werden.
Tipp: Innerhalb von drei Wochen nach Zugang einer Kündigung sollte unbedingt Kündigungsschutzklage erhoben werden.
Pflicht zur Anzeige bei Massenentlassungen (§ 17 KSchG)
Fallen zahlreiche Stellen weg – wie derzeit geplant –, gelten die Vorschriften zur Massenentlassung:
Ab einer bestimmten Anzahl von Kündigungen ist die Agentur für Arbeit zu informieren
Verstöße gegen die Anzeigepflicht machen Kündigungen unwirksam
Schadensersatzansprüche können entstehen
Mitbestimmung bleibt, aber ist begrenzt
Die IG Metall ist über ihre Vertreter im Aufsichtsrat eingebunden, jedoch mit beschränkten Einflussmöglichkeiten auf strategische Entscheidungen wie Ausgliederungen oder Verkäufe.
Aber: Durch den Betriebsrat vor Ort kann ein Sozialplan erzwungen werden – mit Regelungen zu Abfindungen, Qualifizierungsmaßnahmen und Härtefallregelungen.
Was Beschäftigte jetzt tun können
Die Lage ist ernst – aber nicht ohne Handlungsspielraum. Beschäftigte sollten jetzt:
Betriebsrat und IG Metall einbinden
Fordern Sie Einsicht in Sanierungs- und Umbaupläne
Fragen Sie nach dem Stand der Verhandlungen über Sozialplan und Interessenausgleich
Kündigungsschutz beachten
Kündigung erhalten? Innerhalb von drei Wochen Klage einreichen – sonst ist sie rechtskräftig!
Ansprüche sichern
Prüfen Sie mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht, ob Abfindung, Versetzung oder Weiterbeschäftigung möglich sind
Weiterbildung und Transferangebote prüfen
Die Agentur für Arbeit bietet Qualifizierungen und unterstützt sogenannte Transfergesellschaften
Sozialplan aktiv mitgestalten
Forderungen nach Abfindung, Umschulung oder Härtefallausgleich sind jetzt zu stellen
Wirtschaftliche Motive hinter dem Umbruch
Konzernchef Miguel Lopez will den Fokus auf profitablere Bereiche wie „Grüne Technologien“ lenken. Gleichzeitig steigt der Druck durch Investoren, darunter die einflussreiche Krupp-Stiftung. Kritiker werfen der Unternehmensführung vor, Renditeziele über den Erhalt bewährter Strukturen zu stellen – während gleichzeitig tausende Existenzen auf dem Spiel stehen.
Ein Blick in die Zukunft: Was bleibt vom Konzern?
Ohne Stahl, Handel und Marinegeschäft bleibt von Thyssenkrupp möglicherweise nur ein Rumpfkonzern übrig. Ob die verbleibenden Einheiten wirtschaftlich tragfähig sind, ist ungewiss.
Für die Beschäftigten beginnt eine Phase der Unsicherheit, aber auch der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen. Wer informiert und gut beraten ist, kann seine Rechte besser wahren – und aktiv Einfluss auf das nehmen, was noch zu gestalten ist.
Juristische Hilfe für Betroffene
Falls Sie von den geplanten Veränderungen betroffen sind, sollten Sie frühzeitig rechtlichen Rat einholen. Fachanwälte für Arbeitsrecht, aber auch Gewerkschaftsvertreter helfen bei der Einschätzung Ihrer Lage und der Durchsetzung Ihrer Rechte.
Fazit: Der Umbau bei Thyssenkrupp betrifft nicht nur Standorte und Zahlen – sondern Menschen. Jetzt kommt es darauf an, Rechte zu kennen, Fristen zu wahren und den Schulterschluss mit Betriebsrat und Gewerkschaft zu suchen. Denn je klarer die Belegschaft auftritt, desto höher die Chance, soziale Härten abzufedern.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. von der kanzlei JURA.CC bearbeitet im Schwerpunkt das Kündigungsschutzrecht im Arbeitsrecht. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt Mandanten außergerichtlich bei Aufhebungsverträgen und Abwicklungsverträgen bei der Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber. Soweit erforderlich erfolgt eine gerichtliche Vertretung bei der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht mit dem Ziel für den Arbeitnehmer eine angemessene und möglichst hohe Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, ein sehr gutes Arbeitszeugnis für zukünftige Bewerbungen oder auch die Rücknahme der Kündigung und die Weiterbeschäftigung zu erzielen.
Mehr Informationen unter www.JURA.CC oder per Telefon: 0221-95814321