Am 5. September 2024 entschied das Oberlandesgericht Hamburg, dass Passagen aus persönlichen Briefen und Tagebucheinträgen urheberrechtlich geschützt sein können, wenn sie die Voraussetzungen des § 2 UrhG erfüllen. Diese Entscheidung wirft ein neues Licht auf den Umgang mit persönlichen Aufzeichnungen und deren Veröffentlichung in der heutigen digitalen Welt.
Urheberrecht und persönliche Schöpfungen bei Briefen und Tagebucheinträgen
Die Entscheidung des OLG Hamburg (AZ 5 U 51/23) basiert auf den Regelungen des Urheberrechtsgesetzes (UrhG), insbesondere auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, der Sprachwerke als geschützte Werke definiert. Dabei gelten folgende Grundsätze:
- Persönliche geistige Schöpfung: Der Text muss individuelle Kreativität erkennen lassen. Damit ein Text als persönliche geistige Schöpfung gilt, muss er mehr sein als eine bloße Aneinanderreihung von Worten. Er sollte durch eine einzigartige Ausdrucksweise oder originelle Gedanken eine besondere Handschrift des Verfassers erkennen lassen. Dies kann sich in einer poetischen Sprache, einer originellen Erzählweise oder einer tiefgreifenden Reflexion widerspiegeln. Entscheidend ist, dass der Text durch die individuelle Persönlichkeit des Autors geprägt wird und sich dadurch von rein sachlichen oder alltäglichen Mitteilungen abhebt.
- Alltägliche Mitteilungen: Briefe oder Einträge mit rein informativen oder geschäftlichen Inhalten sind grundsätzlich nicht geschützt.
- Künstlerischer Anspruch: Texte, die über das Alltägliche hinausgehen und einen persönlichen Ausdruck oder eine besondere Stilistik enthalten, können urheberrechtlich relevant sein, wenn sie eine unverwechselbare Originalität aufweisen.
Urteil des OLG Hamburg: Hintergrund und Sachverhalt
Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte Passagen aus privaten Briefen eines Dritten in einem Buch veröffentlicht. Der Verfasser der Briefe klagte gegen diese Veröffentlichung und argumentierte, dass die Inhalte seiner persönlichen geistigen Schöpfung entsprächen und somit unter das Urheberrecht fielen. Das Gericht musste klären, ob und in welchem Umfang Briefe und Tagebucheinträge geschützt sind.
Das OLG Hamburg stellte fest, dass persönliche Aufzeichnungen wie Briefe und Tagebücher grundsätzlich nicht geschützt sind, wenn sie nur alltägliche Mitteilungen enthalten. Sobald jedoch eine individuelle kreative Leistung erkennbar ist, greift der Schutz des UrhG.
Analyse und rechtliche Einordnung
Die Entscheidung des OLG Hamburg betont die Bedeutung des individuellen Schöpfungsgrads für den Schutz von Texten:
- Nicht schutzwürdig: Texte wie formale Geschäftsbriefe, Notizen oder kurze Mitteilungen.
- Schutzwürdig: Literarisch ausgestaltete Texte, poetische Briefe oder Tagebucheinträge mit persönlichem Stil.
- Grenzfälle: Texte, die zwischen Alltagskommunikation und literarischer Leistung stehen, bedürfen einer Einzelfallprüfung.
Diese Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit, bei der Veröffentlichung fremder Texte stets eine genaue Prüfung vorzunehmen, um urheberrechtliche Konflikte zu vermeiden.
Auswirkungen auf die Praxis
Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für:
- Verlage: Höhere Sorgfaltspflichten bei biografischen und historischen Publikationen.
- Privatpersonen: Bewusstsein für die Rechte an eigenen Texten, insbesondere im digitalen Raum.
- Social Media: Einschränkungen bei der Nutzung fremder Texte in Beiträgen oder Kommentaren.
Fachanwalt.de-Tipp: Verlage, Autoren und Blogger sollten vor der Veröffentlichung von Briefen oder Tagebucheinträgen stets die Zustimmung des Urhebers einholen, um rechtliche Konflikte zu vermeiden. Gleichzeitig ist es wichtig, bei der Nutzung fremder Texte darauf zu achten, dass eigene kreative Inhalte überwiegen und die persönliche Schöpfung des Autors nicht in den Hintergrund tritt. Sollten Unsicherheiten bestehen, empfiehlt es sich, juristischen Rat eines Fachanwalts für Urheber- und Medienrecht einzuholen, um kostspielige Rechtsstreitigkeiten von vornherein zu verhindern.
Fazit
Das Urteil des OLG Hamburg unterstreicht die Bedeutung des individuellen Schöpfungsgrads im Urheberrecht. Persönliche Aufzeichnungen sind nicht automatisch geschützt, doch literarisch wertvolle Inhalte können rechtlichen Schutz genießen. Autoren und Verlage sollten dies berücksichtigen, um rechtliche Risiken zu minimieren und kreative Leistungen zu würdigen.
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