Mit Urteil vom 12. Juni 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) erneut die Bedeutung des grundrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör unterstrichen. Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Gerichte die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung genau prüfen müssen. Wird eine Berufung mit Verweis auf Treu und Glauben zurückgewiesen, obwohl die strengen Voraussetzungen nicht vorliegen, verletzt dies die Rechte des Beklagten.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist in Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankert. Er sichert Ihnen das Recht, sich im Verfahren zu äußern und Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen. Dieses Recht ist fundamental für einen fairen Prozess und darf nur in Ausnahmefällen eingeschränkt werden.
Eine wirksame Zustellung von gerichtlichen Dokumenten ist hierfür unverzichtbar. Sie stellt sicher, dass Sie von der Klage erfahren und sich verteidigen können.
Die öffentliche Zustellung: Ein letztes Mittel
Eine öffentliche Zustellung ist eine besondere Form der Zustellung von amtlichen oder gerichtlichen Schriftstücken, die dann angewendet wird, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt ist oder eine Zustellung auf normalem Weg nicht möglich ist.
Statt dem Empfänger die Unterlagen persönlich zu übergeben oder per Post zuzustellen, wird das Dokument durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt. In Deutschland geschieht dies meist dadurch, dass das Schriftstück oder ein Hinweis darauf an der Gerichtstafel (Amtsgericht, Verwaltungsgericht usw.) ausgehängt wird oder im elektronischen Bundesanzeiger / Justizportal veröffentlicht wird.
Die öffentliche Zustellung nach § 185 Zivilprozessordnung (ZPO) ist eine ultima ratio.
Die Gerichte legen hier strenge Maßstäbe an. Die klagende Partei muss alle zumutbaren Nachforschungen unternehmen, um die ladungsfähige Anschrift zu ermitteln. Eine bloße Anfrage beim Einwohnermeldeamt reicht in der Regel nicht aus. Zu den notwendigen Schritten gehören, je nach Einzelfall, die Kontaktaufnahme mit Familienangehörigen, dem letzten Vermieter oder die Prüfung bekannter E-Mail-Adressen.
Hohe Anforderungen an die Nachforschungspflicht
Die Rechtsprechung hat klargestellt, dass die Hürden für eine öffentliche Zustellung sehr hoch sind. Der BGH hat in seinem aktuellen Urteil (Az. IX ZR 73/23) hervorgehoben, dass die Gerichte die Ermittlungen genau überprüfen müssen. Nur wenn die Nachforschungen umfassend waren und der Aufenthaltsort dennoch unbekannt bleibt, darf die öffentliche Zustellung bewilligt werden. Eine fehlerhafte Zustellung ist unwirksam und löst keine Fristen aus, wie etwa die Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil.
Treu und Glauben: Kein leichtes Korrektiv
Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) dient als Korrektiv für missbräuchliches Verhalten. Es kann einem Beklagten verwehrt sein, sich auf die Unwirksamkeit einer Zustellung zu berufen, wenn er diese bewusst vereitelt hat. Der BGH betont in seiner Entscheidung jedoch, dass dieser Grundsatz nicht dazu genutzt werden darf, die strengen Anforderungen der öffentlichen Zustellung zu unterlaufen. Eine solche Annahme ist nur in sehr engen Ausnahmefällen denkbar, etwa bei einer gezielten und nachweisbaren Vereitelung.
Warum Rechtsmissbrauch nicht einfach zu unterstellen ist
Das Gericht unterstellt Rechtsmissbrauch nicht leichtfertig. Der BGH hat bestätigt, dass die Annahme treuwidrigen Verhaltens die strengen Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung nicht aushöhlen darf. Sie können sich daher grundsätzlich darauf berufen, dass die Zustellung nicht ordnungsgemäß erfolgte.
Tipp für die Praxis: Achten Sie immer darauf, dass Ihre offizielle Adresse aktuell ist, und werfen Sie regelmäßig einen Blick in Ihren Briefkasten. Sollten Sie unerwartet von einem Gerichtsverfahren erfahren – besonders, wenn schon ein Urteil vorliegt – lassen Sie die Zustellung sofort überprüfen und holen Sie sich rechtlichen Rat. Denn schnelles Handeln kann entscheidend sein, um Ihre Rechte zu sichern.
Zusammenfassung
Die neueste Entscheidung des BGH zeigt, wie wichtig das Recht auf rechtliches Gehör in Zivilprozessen ist. Das Gericht stellt klar, dass eine öffentliche Zustellung nur im Ausnahmefall infrage kommt. Dafür muss die klagende Partei wirklich alles getan haben, um Sie zu finden. Das Urteil schützt Sie als Beklagten davor, dass Ihr Anspruch auf Gehör durch einen Formfehler oder eine unbegründete Annahme von unredlichem Verhalten übergangen wird. Es ist ein wichtiges Signal an Bürger und Unternehmen: Verfahrensfehler dürfen nicht zu Ihrem Nachteil ausgelegt werden.
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