Arbeitsrecht

Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundloser Befristung: Änderung der Rechtsprechung in Sicht?

04.10.2017

Mit den Landesarbeitsgerichten (LAG) Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben sich zwei weitere LAG bei der sachgrundlosen Befristung gegen das Bundesarbeitsgericht (BAG) gestellt. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG steht ein früheres Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit demselben Arbeitgeber einer sachgrundlosen Befristung entgegen. Nach Ansicht der beiden genannten LAG ist dieses sog. Vorbeschäftigungsverbot entgegen der Rechtsprechung des BAG zeitlich unbegrenzt.

LAG Niedersachsen, Urteil vom 23.05.2017 - 9 Sa 1304/16, und LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.7.2017, 4 Sa 221/16

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2011 ist das Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundlosen Befristungen gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zeitlich nicht unbegrenzt. Konkret: Nach Auffassung des BAG steht ein früheres Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit demselben Arbeitgeber einer sachgrundlosen Befristung dann nicht entgegen, wenn das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliegt (BAG, Urteil vom 6.4.2011 − 7 AZR 716/09; bestätigt in BAG, Urteil vom 21.9.2011 – 7 AZR 375/10).

Zur Rechtssicherheit hat dies jedoch nicht beigetragen: Nachdem bereits das LAG Baden-Württemberg dem BAG in drei Entscheidungen die Gefolgschaft verweigert hatte (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.8.2016 – 3 Sa 8/16, LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.10.2016 - 3 Sa 34/16, sowie bereits LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.9.2013 – 6 Sa 28/13), haben nun kurz hintereinander auch das LAG Niedersachsen und das LAG Schleswig-Holstein entschieden, dass ein früheres Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit demselben Arbeitgeber einer sachgrundlosen Befristung auch dann entgegensteht, wenn das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliegt. Nach Ansicht der LAG ist dieses sog. Vorbeschäftigungsverbot entgegen der Rechtsprechung des BAG zeitlich unbegrenzt. Die LAG und auch die sich zur Linie des BAG überwiegend kritisch äußernde Literatur meinen, dass weder der Wortlaut noch der Zweck oder die Entstehungsgeschichte des Gesetzes ausreichende Anhaltspunkte für eine zeitliche Begrenzung enthalten. Auch seien durchgreifende unions- oder verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein zeitlich unbegrenztes Vorbeschäftigungsverbot nicht ersichtlich. Aufgrund der überwiegend deutlichen Kritik an der Rechtsprechung des BAG könnten Arbeitgeber auf die Wirksamkeit der Befristung auch nicht vertrauen.

In einem anderen, dieselbe Rechtsfrage betreffenden Verfahren hat das Arbeitsgericht Braunschweig das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat über den Vorlagebeschluss noch nicht entschieden (Az. 1 BvL 7/14). Zudem ist auch eine Verfassungsbeschwerde mit demselben Streitgegenstand beim Bundesverfassungsgericht anhängig (Az. 1 BvR 1375/14). 

Beraterhinweis: 

Soweit ersichtlich, sind allen genannten LAG-Entscheidungen nicht rechtskräftig, sondern die Revisionsverfahren dazu beim BAG anhängig. Die entsprechenden Entscheidungen des BAG werden mit Spannung erwartet. Der Ausgang kann vor dem Hintergrund der massiven Kritik an der Rechtsprechung des BAG und vor allem auch aufgrund eines zwischenzeitlichen "Personalwechsels" im für das Befristungsrecht zuständigen 7. Senat des BAG durchaus als offen bezeichnet werden. Das bedeutet für Arbeitgeber, dass sie sich auf eine zeitliche Begrenzung des Vorbeschäftigungsverbot auf die drei Jahre vor der erneuten sachgrundlosen Befristung nicht verlassen können. Im Zweifel ist zu prüfen, ob eine Befristung mit Sachgrund darlegbar und beweisbar ist. Ansonsten gilt jedenfalls bei sachgrundlosen Befristungen, die nach der Linie der genannten LAG-Entscheidungen wegen Verstoßes gegen das Vorbeschäftigungsverbot unwirksam sein könnten, obwohl der Drei-Jahres-Abstand eingehalten worden ist: Erhebt der Arbeitnehmer rechtzeitig, d.h. innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages Entfristungsklage (§ 17 S. 1 TzBfG )?

Update:

Auch die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hessen hat sich in einem vor Kurzem ergangenen Urteil den "Rebellen"-LAG angeschlossen: "In § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist gesetzlich ein zeitlich unbegrenztes Vorbeschäftigungsverbot geregelt. Dieses ist nicht auf frühere Arbeitsverhältnisse beschränkt, die weniger als drei Jahre zurückliegen." (LAG Hessen, Urteil vom 11.07.2017 - 8 Sa 1578/16) 

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor

Gesamt:

Dr. Artur Kühnel
Rechtsanwalt • Fachanwalt für Arbeitsrecht
Jungfernstieg 40
20354 Hamburg

Telefon: 040 / 34 80 99 – 0


Honorar/Leistung: (0)
Erreichbarkeit: (0)
Verständlichkeit: (0)
Freundlichkeit: (0)
Diesen Rechtsanwalt bewerten
Vereinbaren Sie hier eine Rechtsberatung zum Artikel-Thema:
Kontaktieren Sie hier Fachanwalt Dr. Artur Kühnel:
* Pflichtfeld
Ja, ich willige ein, dass meine im „Kontaktformular“ eingetragenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Angebotsvermittlung per Fax und E-Mail an den zu kontaktierenden Anwalt übermittelt und gespeichert werden. Diese jederzeit widerrufliche Einwilligung sowie die Verarbeitung und Datenübermittlung durch Dritte erfolgen gem. unserer Datenschutzerklärung.
Kontaktieren
Weitere Artikel des Autors
Arbeitsrecht Wann Arbeitnehmer in der Freizeit erreichbar sein müssen
21.12.2023

Müssen Arbeitnehmer Weisungen des Arbeitgebers auch während ihrer Freizeit zur Kenntnis nehmen? Und wenn man dies bejaht: unter welchen Voraussetzungen?  Anm.: Dieser Beitrag ist in leicht abgewandelter Form auch als Beitrag im  Expertenforum Arbeitsrecht (#EFAR)  erschienen:  Wann Arbeitnehmer in der Freizeit erreichbar sein müssen Thema Seit jeher wird diskutiert, ob die Freizeit „heilig“ ist, also dass Arbeitgeber Arbeitnehmer während der Freizeit nicht „behelligen“ dürfen, sondern sich auf die Arbeitszeit zu beschränken haben. Müssen Arbeitnehmer etwa auch während ihrer ... weiter lesen

Arbeitsrecht Annahmeverzugslohn: Ein Update zur Anrechnung böswillig unterlassenen Verdienstes
23.11.2023

Wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt, hat Letzterer trotz Nichtarbeit häufig Anspruch auf Annahmeverzugslohn (§§ 615 Satz 1, 293 ff. BGB). Dies gilt vor allem im Anschluss an eine unwirksame Arbeitgeberkündigung. Wenn der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn geltend macht, muss er sich aber etwa anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat (§ 11 Nr. 1 KSchG bzw. § 615 Satz 2 BGB). Anrechnen lassen muss er sich vor allem aber auch, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (§ 11 Nr. 2 KSchG bzw. § 615 Satz 2 ... weiter lesen

Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Arbeitsrecht Ergonomischer Büroarbeitsplatz mit Merkblatt

Der Begriff "Büroarbeitsplatz" bezieht sich auf die Gesamtheit aller Elemente und Bedingungen, die in einem Büroumfeld zur Durchführung von Arbeitsaufgaben erforderlich sind. Hierzu zählen insbesondere Arbeitsmittel wie Schreibtisch und Bürostuhl, die gemäß den Anforderungen des Arbeitsschutzes ergonomisch gestaltet sein müssen, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden und die Arbeitsleistung zu steigern. Rechtliche Grundlagen für Büroarbeitsplätze Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und die Bildschirmarbeitsverordnung bilden die rechtliche Basis für die Gestaltung von Büro- und Bildschirmarbeitsplätzen in ... weiter lesen

Arbeitsrecht Arbeitsgericht Siegburg urteilt: Keine Diskriminierung bei Nichteinstellung aus gesundheitlichen Gründen

Das Arbeitsgericht Siegburg hat in einem Fall, in dem es um die Rücknahme einer Einstellungszusage für einen schwerbehinderten Bewerber ging, entschieden. Im Mittelpunkt der Verhandlung stand die Frage, ob die Nichteinstellung aufgrund eines ärztlichen Gutachtens eine Diskriminierung darstellt (Az.: 3 Ca 1654/23 ). Stadt zieht Jobzusage an diabetischen Bewerber zurück – Klage wegen Diskriminierung Ein schwerbehinderter Bewerber, der an Diabetes leidet, bewarb sich Anfang 2023 bei einer Stadtverwaltung für eine Ausbildung zum Straßenwärter. Seine Schwerbehinderung gab er dabei offen an. Er erhielt eine vorläufige Zusage, die jedoch von den Ergebnissen einer ... weiter lesen

Arbeitsrecht Nebenbeschäftigung durch Detektei aufgedeckt – was Arbeitgeber jetzt beachten müssen

Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und -geber ist wichtig, Vertrauen allein reicht aber oft nicht aus. Zu den häufigsten Zwischenfällen gehört die Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit durch den Arbeitnehmer. Grundsätzlich ist der Hauptarbeitgeber verpflichtet, einen Nebenjob zu gewähren, sofern die eigenen Interessen davon nicht betroffen sind. So muss der Arbeitnehmer weiterhin mit seiner vollen Arbeitskraft verfügbar sein und darf nicht in konkurrierenden Betrieben arbeiten. Heimlich ausgeführt ist eine Nebentätigkeit nicht erlaubt. Die Aufdeckung erfolgt regelmäßig durch erfahrene Wirtschaftsdetektive, aber was passiert dann?  ... weiter lesen

Arbeitsrecht Verwaltungsgericht Hannover bestätigt Entlassung von Polizeikommissar-Anwärterin

Ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover (Az. 2 B 512/24; 2 A 5953/23 ) bekräftigt die Entlassung einer Polizeikommissar-Anwärterin aufgrund ihrer polizeikritischen Äußerungen in sozialen Netzwerken. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Neutralität und des Mäßigungsgebots im Beamtenverhältnis. Polizeianwärterin wegen kritischer Äußerungen in sozialen Medien entlassen Im Zentrum des Rechtsstreits stand eine angehende Polizeikommissarin, gegen die die Niedersächsische Polizeiakademie eine Entlassungsverfügung erließ. Ausschlaggebend waren diverse Äußerungen in sozialen Medien, die als kritisch gegenüber der Polizei ... weiter lesen

Ihre Spezialisten