Strafrecht

Vorbeugender Polizeigewahrsam von bis zu zwei Monaten zulässig

15.06.2023
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Zuletzt bearbeitet am: 25.09.2023

München (jur). Bayern darf seine Bürger zur Verhütung von Straftaten bis zu zwei Monate präventiv in Gewahrsam nehmen. Diese wegen des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht umstrittene Landesregelung hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in München in einem am Mittwoch, 14. Juni 2023, verkündeten Urteil nun als verfassungsgemäß erklärt (Az.: Vf. 15-VII-18). 

Das Gericht verwies darauf, dass die bundesweit einmalig lange Ingewahrsamnahme von einem Richter genehmigt werden muss und dem legitimen Schutz der Allgemeinheit vor anhaltenden Gefahrenlagen dient. In der jüngeren Vergangenheit hatte die Polizei die gesetzlichen Bestimmungen zum Polizeigewahrsam insbesondere bei Demonstrationen von Klimaaktivisten genutzt. 

Der Bund für Geistesfreiheit München und der Bund für Geistesfreiheit Bayern wollten mit ihrer sogenannten Popularklage mehrere Bestimmungen des maßgeblichen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) kippen. So hielten sie den im Gesetz enthaltenen Begriff der „drohenden Gefahr“ als Voraussetzung für polizeiliche Maßnahmen für zu unbestimmt. Vor allem aber sahen die Kläger die Freiheitsgrundrechte der Bürger durch die im Gesetz vorgesehene Höchstdauer des polizeilichen Präventivgewahrsams unverhältnismäßig verletzt. 

Die entsprechenden Vorschriften sehen bei einer „andauernden Gefahrenlage“ einen Präventivgewahrsam von bis zu einem Monat vor, der dann auf bis zu zwei Monate verlängert werden kann. Vor der gesetzlichen Neuregelung war eine präventive Ingewahrsamnahme von bis zu 14 Tagen möglich. 

Der Verfassungsgerichtshof wies den Großteil der Klage teils als unzulässig oder nicht ausreichend begründet ab. Der Begriff der „drohenden Gefahr“ als Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten sei im Gesetz ausreichend bestimmt und mit Beispielen erläutert worden. 

Der Präventivgewahrsam stehe im Einklang mit der Bayerischen Verfassung, die Einwände hiergegen den seien unbegründet, so die Verfassungsrichter. Bei einer andauernden Gefahrenlage sei der Freiheitsentzug aus „gewichtigen Gründen des Gemeinwohls“ als „letztes Mittel“ zulässig. Allein die fehlerhafte Anwendung der Ingewahrsamnahme im Einzelfall mache die Bestimmung nicht verfassungswidrig. 

Auch die Dauer des präventiven Gewahrsams sei angesichts des zu berücksichtigenden „Sicherungsbedürfnisses der Allgemeinheit“ nicht zu beanstanden, zumal die betroffene Person die Freiheitsentziehung von einem Gericht überprüfen lassen könne. Die Ausschöpfung der Höchstdauer sei auch nicht zwingend vorgegeben, sondern werde im Einzelfall von einem unabhängigen Richter festgelegt. 

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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