Kassel (jur). Wenn Hartz-IV-Aufstockern mit einer selbstständigen Tätigkeit ihre Leistungen wegen verspätet eingereichter Unterlagen gestrichen wurden, können sie diese mit einer Klage noch retten. Reichen sie im Gerichtsverfahren die Angaben zu ihren Betriebseinnahmen und -ausgaben nach, besteht kein Grund mehr, die Hilfeleistung wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht zu versagen, urteilte am Dienstag, 29. November 2022, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 4 AS 64/21 R).
Üblicherweise erhalten selbstständige Hartz-IV-Aufstocker wegen unregelmäßiger Einkünfte erst einmal nur vorläufig Arbeitslosengeld II. Beim Jobcenter müssen sie zunächst eine Prognose über ihre betrieblichen Einnahmen abgeben. Legen sie später die tatsächlichen Betriebseinnahmen und -ausgaben vor, kann die Behörde einen abschließenden Arbeitslosengeld-II-Bescheid erstellen. Liegen bei einem selbstständigen Hartz-IV-Aufstocker zu hohe Einnahmen vor, muss er zu viel erhaltenes Arbeitslosengeld II zurückzahlen.
Im Streitfall hatte das Jobcenter Hamburg einer selbstständigen Grafikdesignerin für den Streitzeitraum April bis Ende Juni 2017 vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 700 Euro gewährt. Als die Behörde die Frau später zur Abgabe von Nachweisen über ihre Betriebseinnahmen und -ausgaben aufforderte und hierfür eine Frist setzte, kam die Hartz-IV-Aufstockerin dem zunächst nicht nach.
Das Jobcenter wertete dies als Verletzung der Mitwirkungspflicht und hob den vorläufigen Bescheid über die Gewährung von Arbeitslosengeld II auf. Damit drohte der Frau die Rückzahlung ihrer bisher erhaltenen Hartz-IV-Leistungen. Erst mit ihrer Klage vor Gericht legte sie die gewünschten Nachweise über ihre Hilfebedürftigkeit vor. Das Landessozialgericht Hamburg urteilte, dass der Frau Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 637 Euro zustehe.
Das Jobcenter widersprach. Es sei zu spät, wenn die geforderten Unterlagen erst im Klageverfahren eingereicht werden. Nach dem Gesetz dürfe sie bei zu spät eingereichten Unterlagen die Hilfeleistung gänzlich streichen. Allein in Hamburg sind nach Angaben der Behörde etwa 300 vergleichbare Klagen anhängig.
Das BSG gab der Klägerin jedoch recht. Zwar müsse eine Verwaltung auch abschließend über einen Arbeitslosengeld-II-Anspruch entscheiden können und damit Rechtssicherheit schaffen. Hierfür dürfe die Behörde auch Fristen setzen. Allerdings lege hier die maßgebliche gesetzliche Bestimmung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld II nicht eindeutig fest, dass verspätet eingereichte Belege einen gänzlichen Verlust der Hilfeleistung zur Folge haben kann. Weil die Klägerin die Unterlagen im Klageverfahren noch nachtgereicht hat, dürften ihr die Leistungen daher nicht versagt werden.
Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage
Symbolgrafik:© PeJo - stock.adobe.com
Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock