Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat am 20. November 2024 (Az.: 10 Sa 13/24) ein richtungsweisendes Urteil gefällt. Demnach kann der Wunsch einer potenziellen Kundin nach Betreuung durch einen männlichen Berater eine unmittelbare Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darstellen. Arbeitgeber müssen in solchen Fällen ihrer Schutzpflicht nachkommen, um Diskriminierungen zu vermeiden. Andernfalls kann ein Entschädigungsanspruch für die betroffene Arbeitnehmerin entstehen.
Darf man sich als Kunde einen männlichen Berater wünschen? - Der Fall im Überblick
Im Zentrum des Rechtsstreits stand eine langjährige Mitarbeiterin eines Bauunternehmens, die als Vertriebsberaterin tätig war. Eine potenzielle Kundin hatte explizit den Wunsch geäußert, nicht von einer Frau, sondern von einem männlichen Berater betreut zu werden. Der Arbeitgeber kam diesem Wunsch nach und entzog der Mitarbeiterin den Kundenkontakt, was letztlich zu einer Klage wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts führte.
Rechtliche Grundlagen
Schutzpflichten nach § 12 Abs. 4 AGG
Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Mitarbeiter vor Diskriminierungen durch Dritte zu schützen. Dies umfasst auch den Umgang mit Kundenwünschen, die auf diskriminierenden Motiven beruhen. Laut LAG Baden-Württemberg darf ein Arbeitgeber solche Wünsche nicht unhinterfragt übernehmen, sondern muss geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Diskriminierung zu unterbinden.
Unmittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 AGG
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person aufgrund eines in § 1 AGG genannten Merkmals, wie z.B. des Geschlechts, weniger günstig behandelt wird. Das Gericht entschied, dass der Entzug des Kundenkontakts eine solche Benachteiligung darstellt.
Entscheidungsgründe des Gerichts
Das LAG befand, dass der Arbeitgeber seine Schutzpflichten gegenüber der Mitarbeiterin verletzt habe. Der Wunsch der Kundin hätte nicht ohne weiteres akzeptiert werden dürfen. Vielmehr hätte der Arbeitgeber versuchen müssen, die Kundin von der Qualifikation der Mitarbeiterin zu überzeugen. Da dies unterlassen wurde, sei der Entzug des Kundenkontakts als unmittelbare Benachteiligung zu werten.
Der Arbeitgeber wurde daher zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1.500 Euro verurteilt. Dieser Betrag soll eine abschreckende Wirkung haben und den immateriellen Schaden der Mitarbeiterin ausgleichen.
Praktische Auswirkungen für Unternehmen
Unternehmen müssen sich der rechtlichen Risiken bewusst sein, die mit der Erfüllung diskriminierender Kundenwünsche verbunden sind. Wichtige Maßnahmen umfassen:
- Sensibilisierung von Führungskräften: Schulungen zur Erkennung und Vermeidung von Diskriminierung.
- Klare Richtlinien: Implementierung von AGG-konformen Prozessen im Kundenkontakt.
- Reaktionsstrategien: Aktive Auseinandersetzung mit diskriminierenden Wünschen und klare Kommunikation mit den Kunden.
Fallbeispiel aus der Praxis
Ein Versicherungsunternehmen berichtet von einem ähnlichen Fall, bei dem ein Kunde ausschließlich von einem männlichen Sachbearbeiter betreut werden wollte. Nach interner Prüfung wurde entschieden, den Wunsch abzulehnen und den Kunden über die Qualifikation der zuständigen Mitarbeiterin zu informieren. Der Kunde blieb dem Unternehmen erhalten – ein Beleg dafür, dass diskriminierungsfreie Entscheidungen auch wirtschaftlich tragfähig sein können.
Tipp für Unternehmen
Führen Sie regelmäßig AGG-Schulungen für Ihre Führungskräfte durch. So stellen Sie sicher, dass Diskriminierungen erkannt und korrekt behandelt werden. Dies minimiert nicht nur rechtliche Risiken, sondern fördert auch eine diskriminierungsfreie Unternehmenskultur.
Zusammenfassung
Das Urteil des LAG Baden-Württemberg unterstreicht die Bedeutung von Schutzpflichten nach dem AGG. Unternehmen dürfen sich nicht zum Erfüllungsgehilfen diskriminierender Kundenwünsche machen. Stattdessen sind sie verpflichtet, aktiv gegen Benachteiligungen vorzugehen und ihre Mitarbeiter zu schützen. Dies ist nicht nur eine rechtliche Notwendigkeit, sondern auch ein Beitrag zu einer fairen und respektvollen Arbeitswelt.
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