München. Etwa 170.000 Zeugen Jehovas in Russland sind wegen ihres religiösen Glaubens staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München hat diese Entscheidung als erstes Oberverwaltungsgericht in einem am Montag, 28. Februar 2022, bekannt gegebenen Urteil gefällt und Deutschland aufgefordert, zwei russische Kläger als Flüchtlinge anzuerkennen (Az.: 11 B 19.33187).
Die Männer reisten 2018 nach Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte ihren Asylantrag ab.
Der VGH entschied jedoch am 9. November 2021, dass die russischen Kläger als Zeugen Jehovas wegen ihrer religiösen Überzeugung einem hohen Risiko ausgesetzt seien, von staatlicher Seite verfolgt zu werden. Im Jahr 2017 listete das Oberste Gericht der Russischen Föderation Jehovas Zeugen als extremistische Gruppe auf, und alle ihre Aktivitäten wurden verboten. Die Glaubensausübung im öffentlichen und privaten Bereich könne zu strafrechtlicher Verfolgung führen. Dadurch werde ihre Religionsfreiheit verletzt.
Auch wenn die Zahl der Anklagen im Verhältnis zur Gesamtzahl der aktiven Glaubensmitglieder überschaubar bleibe, stelle dies grundsätzlich nicht die Annahme einer drohenden Strafverfolgung in Frage, urteilten die Richter in München. Seit dem Verbot würden Jehovas Zeugen „weitgehend auf öffentliche Glaubensbekundungen" wie Missionieren oder Predigen verzichten, um das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung zu verringern.
Drohende Sanktionen und das Verbot würden auch einzelne Kläger hart treffen, weil die aktive Teilnahme an öffentlichen Versammlungen und öffentlichen Predigten ihre religiöse Identität präge und für sie unverzichtbar sei.
Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock
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