In seiner erbrechtlichen Entscheidung vom 20.07.2020 stärkt der Bundesgerichtshof (BGH) die Rechte gesetzlicher Erben. Wird diesen in einer Testamentseröffnung mitgeteilt, dass sie enterbt wurden, haben sie das Recht auf Einsicht in die beim Notar verwahrte Kopie der letztwilligen Verfügung des Erblassers. Mit der Begründung eines bestehenden Geheimhaltungsinteresses kann eine Einsicht nicht verwehrt werden, so der BGH.
Erbe hegt Manipulationsverdacht
Wie weitreichend ist die Verschwiegenheitspflicht des Notars gegenüber den gesetzlichen Erben? Und welche Rolle spielt das Geheimhaltungsinteresses eines Verstorbenen? Mit diesen Fragen hatte sich jüngst der BGH zu befassen.
Ausgangspunkt waren Streitigkeiten nach der Testamentseröffnung eines Verstorbenen. Dieser hatte nicht seinen Sohn aus erster Ehe, wie dieser fälschlicherweise angenommen hatte, sondern dessen Halbgeschwister aus zweiter Ehe mit dem Erbe bedacht. Der Sohn hingegen war von seinem Vater enterbt worden. Damit wollte sich der Sohn nicht abfinden – er ging von der Manipulation der letztwilligen Verfügung seines Vaters aus und verlangte die Einsicht in eine Kopie des Testamens bei dem Notar. Doch dieser verweigerte die Einsicht mit dem Hinweis auf seine Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Verstorbenen. Ein Antrag des Sohnes bei der Notarkammer auf Entbindung des Notars von seiner Geheimhaltungspflicht war nicht erfolgreich. Auch vor Gericht wurde ihm bislang keine Einsicht gewährt.
BGH verneint Geheimhaltungsinteresse
Doch der Gang zum BGH sollte nun zum gewünschten Erfolg führen. Das Gericht verpflichtete die Notarkammer, den Notar von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden (Urteil vom 20.07.2020 - NotZ(Brfg) 1/19). Die Richter stützten ihre Entscheidung auf eine Vorschrift aus der Bundesnotarordnung. Danach kann der Notar von seiner Schweigepflicht befreit werden, wenn das Geheimhaltungsinteresse seines Mandanten durch dessen Todesfall entfallen ist. Gegenüber dem gesetzlichen Erben entfalle dieses Interesse soweit ihn das Testament betrifft, so der BGH.
Im vorliegenden Fall der Enterbung sei insbesondere auch deshalb eine Information des Sohnes notwendig gewesen, da sonst nicht sichergestellt werden könne, dass der letzte Wille des Erblassers verwirklicht werde. Die Information und damit Einsicht betrifft dann laut BGH nicht nur das Originaltestament, sondern auch eine beim Notar verwahrte Abschrift. Auch darauf bezieht sich das Recht des gesetzlichen Erben auf Einsichtnahme.
Manipulationsverdacht unerheblich
Dabei kam es im vorliegenden Fall auf den Verdacht der Manipulation des Testaments schon gar nicht an, da es insoweit nur um die Frage des Bestehens eines Geheimhaltungsinteresses beim Verstorbenen ging. Der Sohn musste seinen Verdacht daher auch nicht überzeugend begründen.
Mit dieser Entscheidung hat der BGH dem Interesse des gesetzlichen Erben deutlichen Vorrang eingeräumt, ohne dass es dabei auf konkrete Anhaltspunkte hinsichtlich einer Testamentsanfechtung (bereits) ankommen würde.
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