Arbeitsrecht

Arbeitszeiterfassung ist Arbeitsschutz

Zuletzt bearbeitet am: 12.01.2024

Erfurt (jur). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am Samstag, 3. Dezember 2022, die schriftlichen Gründe zu seinem sogenannten Stechuhr-Beschluss veröffentlicht. Darin bekräftigten die Erfurter Richter, dass die Pflicht der Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung unmittelbar gilt (Az.: 1 ABR 22/21). Der Gesetzgeber kann diese Pflicht konkretisieren, muss es aber nicht. 

Der bundesweit aufsehenerregende Beschluss war bereits am 13. September 2022 verkündet worden (JurAgentur-Meldung vom Entscheidungstag). Dabei hatte die Vorsitzende des für das Betriebsverfassungsrecht zuständigen 1. BAG-Senats, BAG-Präsidentin Inken Gallner, erklärt, die Zeiterfassung sei auch ein „Schutz vor Fremd- und Selbstausbeutung“. Auf 23 Seiten hat das BAG die Gründe für seine Entscheidung nun konkretisiert. 

Danach kann die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht unmittelbar aus Grundrechten und auch nicht aus dem Arbeitszeitgesetz abgeleitet werden, wohl aber aus dem Arbeitsschutzgesetz. Dabei sei es der Wille des Gesetzgebers gewesen, mit diesem Gesetz die Arbeitsschutzrichtlinie der EU in deutsches Recht umzusetzen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg gebe die Richtlinie die Erfassung der Arbeitszeiten vor (Urteil und JurAgentur-Meldung vom 14. Mai 2019, Az.: C-55/18). Daher sei nun auch das deutsche Arbeitsschutzgesetz entsprechend auszulegen. 

Eine entsprechende Auslegung sei auch möglich, so das BAG. Parallel zum EuGH-Urteil zur Arbeitsschutzrichtlinie entschied es daher, dass sich auch aus dem Arbeitsschutzgesetz die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung unmittelbar ergibt. Die von der Ampelkoalition im Koalitionsvertrag vereinbarte gesetzliche Neufassung kann die Arbeitszeiterfassung konkretisieren. Die Pflicht der Arbeitgeber besteht aber schon jetzt, auch ohne eine Gesetzesänderung. 

Allerdings sind „wegen besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit“ Ausnahmen möglich, heißt es in dem Beschluss. Diese setzen aber eine ausdrückliche gesetzliche Regelung voraus. Bislang sind in Deutschland solche Ausnahmen beim Arbeitsschutz insbesondere für leitende Angestellte und andere Führungskräfte vorgesehen, etwa Chefärzte oder die Leiter öffentlicher Dienststellen. Sonderregelungen gibt es im Straßentransport sowie für Luft- und Schifffahrt. 

Weiter betont das BAG, dass die Arbeitszeiterfassung nicht zwingend elektronisch erfolgen muss. Vielmehr bestehe ein Spielraum, „in welcher Art und Weise“ die Arbeitszeiterfassung erfolgen soll. Nähere Vorgaben machten daher auch die obersten Arbeitsrichter nicht. 

Auch hier ist zudem eine Differenzierung nach der Art der Tätigkeiten möglich. Daher lässt der Erfurter Beschluss die seit der mündlichen Entscheidungsverkündung viel diskutierte Vertrauensarbeitszeit wohl dergestalt zu, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten selbst notieren, ohne dass der Arbeitgeber dies kontrolliert. 

Generell nicht ausreichend ist es nach dem Beschluss aber, wenn der Arbeitgeber lediglich die Möglichkeit zur Arbeitszeiterfassung gibt. Erforderlich sei vielmehr, dass die Arbeitszeiterfassung auch tatsächlich erfolgt. 

Klar ist nach dem Erfurter Beschluss, dass bei der Arbeitszeiterfassung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht. Nicht eindeutig ist allerdings, ob dies auch ein sogenanntes Initiativrecht umfasst. Dies wäre für die Arbeitnehmervertreter wichtig, weil sie nur dann den Arbeitgeber zwingen könnten, mit der vorgeschriebenen Arbeitszeiterfassung auch tatsächlich zu beginnen. Unzulässig ist danach aber auf jeden Fall eine Initiative des Betriebsrats, die allein auf eine elektronische Arbeitszeiterfassung abzielt. 

Genau so lag es aber im konkreten Fall einer vollstationären Wohneinrichtung in Westfalen. Daher wies das BAG den Betriebsrat ab. Wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einigen können, müsse die dann einzusetzende Einigungsstelle Spielräume haben, über das Wie der Arbeitszeiterfassung zu entscheiden. 

Nach Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit wurden 2021 rund 893 Millionen oder gut 52 Prozent aller Überstunden nicht vergütet. 

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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