Arbeitsrecht

Auswirkungen der Zeiterfassung à la EuGH auf Vergütungsfragen?

16.03.2022
Zuletzt bearbeitet am: 16.03.2022

Bekanntlich hat der EuGH im Jahr 2019 festgestellt, dass Arbeitgeber verpflichtet werden müssen, eine objektive, verlässliche und zugängliche Zeiterfassung einzuführen, mit der die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. In dessen Folge haben sich einige Instanzgerichte mit den Auswirkungen des EuGH-Urteils auf Streitigkeiten um Vergütungsfragen, konkret: um Überstundenvergütung, befasst. Ausweislich der Terminsankündigung des BAG wird es sich am 4. Mai 2022 mit drei Revisionen gegen entsprechende LAG-Urteile befassen. Die erwarteten Entscheidungen des BAG werden der Praxis hoffentlich mehr Rechtssicherheit und Orientierungshilfe für die Zukunft verschaffen.

Rückblick: EuGH zur Einführung der Zeiterfassung

Ausweislich des bekannten Urteils des EuGH vom 14. Mai 2019 (C-55/18) müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann (Pflicht zur Zeiterfassung). Insoweit hat der EuGH festgestellt, dass ohne ein solches System weder die Zahl der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie ihre zeitliche Lage noch die über die gewöhnliche Arbeitszeit hinausgehende, als Überstunden geleistete Arbeitszeit objektiv und verlässlich ermittelt werden kann. Dies aber sei zwingend erforderlich. Das Urteil des EuGH wurde bereits vielerorts umfänglich besprochen, was an dieser Stelle nicht noch einmal erfolgen soll.

Auch die umstrittene Frage, ob es hins. der Vorgaben im Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 einer Umsetzung des nationalen Gesetzgebers bedarf oder aber ob die Vorgaben bereits unmittelbare Geltung haben, wurde bereits im Beitrag Zeiterfassung à la EuGH: "erst in Zukunft" vs. "schon jetzt" behandelt. Je nach Beantwortung dieser umstrittenen Frage sind die Unternehmen also entweder bereits jetzt zur Vorhaltung einer Zeiterfassung à la EuGH verpflichtet (aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 16 Abs. 2 ArbZG im Sinne der Vorgaben des EuGH) oder werden aber jedenfalls nach einem entsprechenden Tätigwerden des Gesetzgebers hierzu verpflichtet sein. Dass der Gesetzgeber sich zuletzt zumindest gewisse Gedanken dazu macht, hat der - aktuell zunächst wieder aufgeschobene - Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung gezeigt. Es ist damit zu rechnen, dass die entsprechenden Vorgaben des EuGH früher oder später umgesetzt werden. Trotz Regelungsspielraum des Gesetzgebers (z.B. für kleinere Unternehmen) werden die Vorgaben des EuGH zu den entscheidenden Punkten wohl durch alle Unternehmen eingehalten werden müssen (konkret: dass die Zahl der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie ihre zeitliche Lage und dass die über die gewöhnliche Arbeitszeit hinausgehende, als "Überstunden" geleistete Arbeitszeit objektiv und verlässlich ermittelt werden).

Im vorliegenden Beitrag soll erörtert werden, welche Bedeutung das Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 bzw. jedenfalls eine Zeiterfassung à la EuGH für die Vergütungspflicht haben kann. Der vorliegende Beitrag schließt sich damit an den Beitrag Erleichterte Durchsetzung von Überstundenvergütung aufgrund der Pflicht zur Zeiterfassung? an und gibt ein Update zu der seitdem eingetretenen Entwicklung (inkl. Ausblick auf die für den 4. Mai 2022 erwarteten Entscheidungen des BAG).

Instanzrechtsprechung: fehlende Zeiterfassung = Darlegungserleichterung im Überstundenprozess?

Bekanntlich hatte das Arbeitsgericht Emden in mehreren Aufsehen erregenden Urteilen entschieden, dass die (komplette) Nichteinhaltung der Pflicht zur Zeiterfassung à la EuGH zu einer Darlegungserleichterung im Überstundenprozess führen soll (Urteil vom 20. Februar 2020 - 2 Ca 94/19, und Urteil vom 24. September 2020 – 2 Ca 144/20). Das Arbeitsgericht Emden hat insoweit die oben genannte umstrittene Frage, ob es hins. der Vorgaben im Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 einer Umsetzung des nationalen Gesetzgebers bedarf oder aber ob die Vorgaben bereits unmittelbare Geltung haben, für sich im letzteren Sinne beantwortet.

Gegen das Urteil des Arbeitsgericht Emden vom 20. Februar 2020 (2 Ca 94/19) hatte die Arbeitgeberseite 0Berufung eingelegt. Das LAG Niedersachsen hat anders als das Arbeitsgericht Emden entschieden, dass dem EuGH gemäß Art. 153 Abs. 5 AEUV die Kompetenz fehlt, zu Fragen der Arbeitsvergütung Stellung zu nehmen, sowie dass die Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2019 keinerlei Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess hat (LAG Niedersachsen Urteil vom 6. Mai 2021 – 5 Sa 1292/20). Das Urteil des EuGH aus 2019 befasse sich allein mit Fragen des Arbeitsschutzes und der effektiven Begrenzung der Höchstarbeitszeit. Das LAG Niedersachen lehnt die Annahme einer unmittelbaren Geltung der Vorgaben des EuGH im Übrigen auch ab und geht davon aus, dass erst der Gesetzgeber tätig werden muss.

Auch das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 3. August 2021 – 16 Sa 875/20) hat unter Hinweis auf die vorgenannte Entscheidung des LAG Niedersachsen entschieden, dass die dem Arbeitgeber mit Urteil des EuGH auferlegte Pflicht zur Errichtung eines Arbeitszeiterfassungssystems nicht zu einer Modifizierung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess führt.

Jüngst hat ferner das LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19. Februar 2021 – 8 Sa 169/20) entscheiden, dass eine Darlegungserleichterung bzw. die Umkehr der Darlegungslast nicht auf einen Verstoß des Arbeitgebers gegen die aus § 16 Abs. 2 ArbZG i.V.m. der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) folgende Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit gestützt werden kann. Entscheidend sei, dass der Zweck der Regelungen in § 16 Abs. 2 ArbZG und der Arbeitszeitrichtlinie sowie von Art. 31 Abs. 2 GRCh nicht etwa sei, dem Arbeitnehmer die Darlegung und Beweisführung bei Wahrnehmung seiner arbeitsvertraglichen Rechte zu ermöglichen. Der Normzweck sei in keiner Weise ein vergütungsrechtlicher, sondern allein der Aspekt des Gesundheitsschutzes. Eine Verletzung der öffentlich-rechtlichen Dokumentationspflicht durch den Arbeitgeber könne deshalb bei privat-rechtlichen Vergütungsforderungen nicht zu Gunsten des Arbeitnehmers angeführt werden. In Vergütungsfragen bestehe unionsrechtlich keine Regelungskompetenz und ausdrücklich auch kein europarechtlicher Regelungswille.

Ausweislich einer Terminsankündigung wird sich das BAG am 4. Mai 2022 mit den Revisionen gegen die drei vorgenannten LAG-Urteile befassen. Das LAG Niedersachsen und das LAG Rheinland-Pfalz hatten die Revision jeweils zugelassen. Die Revision gegen das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg hat das BAG auf eine eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hin zugelassen. Angesichts der somit zeitnah erwarteten Entscheidungen des BAG besteht Anlass, sich die insoweit diskutierten Argumente in Erinnerung zu rufen.

Grundsatz: Arbeitszeitrichtlinie und EuGH-Urteil regeln Vergütungspflicht nicht

Das Urteil des EuGH aus 2019 hat - jdf. im Ausgangspunkt - keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Vergütungspflicht. Der EuGH hat diverse Male darauf hingewiesen, dass sich die Arbeitszeitrichtlinie mit Ausnahme des in ihrem Art. 7 Abs. 1 geregelten besonderen Falls des bezahlten Jahresurlaubs darauf beschränkt, bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, so dass sie grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer findet (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-107/19; EuGH, Urteil vom 9. März 2021 – C-344/19; EuGH, Urteil vom 20. November 2018 – C-147/17; EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 – C-175/16).

Auch dem BAG zufolge regeln Art. 31 GRCh und die Arbeitszeit-Richtlinie mit Ausnahme des besonderen Falls des bezahlten Jahresurlaubs keine Fragen der Vergütung, weil die Europäische Union hierfür nach Art. 153 Abs. 5 AEUV nicht zuständig ist (BAG, Urt. v. 25. März 2021 – 6 AZR 264/20). Somit sind die Mitgliedstaaten auch nicht verpflichtet, Entgeltansprüche entsprechend den Definitionen der Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ in der Arbeitszeitrichtlinie festzulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – C-518/15, sowie BAG, Urteil vom 18. März 2020 – 5 AZR 36/19). Insoweit stehen die drei vorgenannten LAG-Urteile, die ebenfalls hierauf abstellen, im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH und des BAG.

Das bedeutet aber nicht, dass das Arbeitszeitschutzrecht bzw. daraus folgende Maßnahmen generell keinerlei Bedeutung für Fragen der Vergütungspflicht haben können. Der EuGH hat insoweit darauf hingewiesen, dass - obwohl Vergütungsfragen grundsätzlich nicht unter die Arbeitszeit-Richtlinie fallen - dies mittelbar anders sei, wenn die Frage der Vergütung von Zeiten davon abhänge, ob diese als Arbeits- oder Ruhezeit i.S.d. Arbeitszeitrichtlinie einzustufen seien (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-107/19, Rn. 23 f.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 9. März 2021 – C-344/19, Rn. 17, und EuGH, Urteil vom 20. November 2018 – C-147/17, Rn. 35 ff.). Jedoch hat der EuGH dadurch keine unionsrechtliche Regelungskompetenz für Vergütungsfragen anerkannt, sondern es lediglich akzeptiert, dass das jeweils vorlegende Gericht meint, die Auslegung des Unionsrechts insoweit für die Beantwortung der Frage nach einer Vergütungspflicht zu benötigen.

Bezogen auf das deutsche Arbeitszeitschutzrecht und insbes. das ArbZG weist das BAG jedoch regelmäßig darauf hin, dass die Qualifikation einer bestimmten Zeitspanne als Arbeitszeit im Sinne des gesetzlichen Arbeitszeitschutzrechts nicht zwingend zu einer Vergütungspflicht führt, wie auch umgekehrt die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit nicht die Vergütungspflicht ausschließen muss (vgl. etwa BAG, Urteil vom 17. Oktober 2018 – 5 AZR 553/17). Dies spricht also eher dagegen, dass die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie und des Art. 31 GRCh inkl. der Vorgaben des EuGH in seinem Urteil aus dem Jahr 2019 für die Vergütungspflicht nach deutschem Recht überhaupt nutzbar gemacht werden kann. Die unterlassene Umsetzung einer (ggf. derzeit noch nicht einmal bestehenden) rein arbeitsschutzrechtlichen Pflicht zur Vorhaltung einer Zeiterfassung könnte nur arbeitsschutzrechtliche, nicht aber auch vergütungsrechtliche Folgen haben. Die oben genannte umstrittene Frage, ob es hins. der Vorgaben im Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 einer Umsetzung des nationalen Gesetzgebers bedarf oder aber ob die Vorgaben bereits unmittelbare Geltung haben, dürfte für das deutsche Vergütungsrecht also gar nicht entscheidungserheblich sein. Sollte das BAG dies bei seinen für den 4. Mai 2022 erwarteten Entscheidungen auch so beurteilen, wird es die Frage offen lassen (können).

Bestehende Zeiterfassung: Darlegungserleichterung im Vergütungsprozess?

Das BAG hatte in seiner Entscheidung vom 26. Juni 2019 (5 AZR 452/18) die Auswirkungen einer bestehenden (manuellen) Zeiterfassung auf die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess zu beurteilen (nicht anderes gilt laut BAG im Prozess auf Vergütung tatsächlich geleisteter Arbeit in der Normalarbeitszeit):

  • Das BAG hat entschieden, dass bei einer derartigen Zeiterfassung – unabhängig davon, welchem Zweck sie dienen soll (!) – der Arbeitgeber mit der Unterzeichnung der Aufzeichnungen zur Arbeitszeit eine sich daraus ergebende Überstundenleistung zunächst streitlos stellt. In so einem Fall genügt der Arbeitnehmer der ihm im Überstundenprozess obliegenden Darlegungslast für die Leistung von Überstunden auf der ersten Stufe schon dadurch, dass er schriftsätzlich die vom Arbeitgeber abgezeichneten Arbeitsstunden und den sich daraus ergebenden Saldo darlegt. Auf diesen Vortrag des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber im Rahmen der abgestuften Darlegungslast substanziiert erwidern, dass, aus welchen Gründen und in welchem Umfang die von ihm oder einem für ihn handelnden Vorgesetzten des Arbeitnehmers abgezeichneten Arbeitsstunden nicht geleistet wurden oder der behauptete Saldo sich durch konkret darzulegenden Freizeitausgleich vermindert hat.
  • Neben der hinreichenden Darlegung der Überstundenleistung muss als weitere Voraussetzung für die Vergütungspflicht von Überstunden die arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung gegeben sein. Wenn ein Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer auf Zeiterfassungsbögen festgehaltenen Arbeitszeiten abzeichnet, sind diese laut BAG damit jedenfalls gebilligt (vgl. bereits BAG, Urteil vom 10. April 2013 – 5 AZR 122/12, Rn. 19). Dabei ist es laut BAG unerheblich, ob mit der Unterzeichnung eine „Vergütungspflicht konstituiert“ werden soll oder nicht. Entscheidend ist allein, dass mit der Abzeichnung der erfassten Arbeitszeit und der monatlichen Salden der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu erkennen gibt, dass er mit der erfolgten Überstundenleistung einverstanden ist.

Damit hat das BAG anerkannt, dass eine - auch anderen Zwecken (wie z.B. dem Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer) dienende - Zeiterfassung mittelbar Auswirkungen auf die Vergütungspflicht haben kann, wenn die Erfassung der Zeiten unter Mitwirkung des Arbeitgebers erfolgt (z.B. durch Abzeichnung). Diese Rechtsprechung ist eine Darlegungs-Erleichterung für die in Betrieben mit einer bestehenden Zeiterfassung beschäftigten Arbeitnehmer, die unabhängig von der Einführung einer Zeiterfassung à la EuGH eingreifen kann.

Daraus folgt denklogisch auch, dass eine der Einhaltung des Arbeitszeitschutzrechts dienende Zeiterfassung à la EuGH Bedeutung für Fragen der Vergütungspflicht haben kann und auch wird. Die vorgenannte Darlegungs-Erleichterung wird nämlich erst recht bei einem bestehenden und den Vorgaben des EuGH entsprechenden Zeiterfassungssystem eingreifen. Dies ergibt sich daraus, dass ein solches Zeiterfassungssystem laut EuGH die Zahl der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie ihre zeitliche Lage und die über die gewöhnliche Arbeitszeit hinausgehende, als "Überstunden" geleistete Arbeitszeit objektiv und verlässlich ermitteln muss. Es wird unter so einem System also feststehen müssen, dass und in welchem Umfang Arbeitszeit des jeweiligen Arbeitnehmers angefallen ist sowie dass deren Anfall dem Arbeitgeber zuzurechnen ist.

In den drei LAG-Urteilen, mit denen sich das BAG am 4. Mai 2022 befassen soll, gab es keine eingeführte Zeiterfassung à la EuGH und auch keine sonstige, unter Mitwirkung des Arbeitgebers (z.B. durch Abzeichnung) erfolgte Zeiterfassung, so dass es jeweils an den Voraussetzungen für die vorgenannte Darlegungs-Erleichterung fehlte.

Bewertung und Ausblick

Solange eine Zeiterfassung und insbesondere eine Zeiterfassung à la EuGH nicht besteht, kann - wie oben ausgeführt - die unterlassene Umsetzung einer (ggf. derzeit noch nicht einmal bestehenden) rein arbeitsschutzrechtlichen Pflicht zur Vorhaltung einer Zeiterfassung auch nur arbeitsschutzrechtliche, nicht aber auch vergütungsrechtliche Folgen haben. Somit kann aus dem Fehlen der Zeiterfassung selbst auch keine Darlegungs-Erleichterung abgeleitet werden. Sollte das BAG in seinen für den 4. Mai 2022 erwarteten Entscheidungen an seiner Rechtsprechung festhalten, dürfte es die genannten drei LAG-Urteile in den hier interessierenden Aspekten der jeweiligen Entscheidungsgründe bestätigen. Dabei könnte es die umstrittene Frage offen lassen, ob es hins. der Vorgaben im Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 einer Umsetzung des nationalen Gesetzgebers bedarf oder aber ob die Vorgaben bereits unmittelbare Geltung haben. Vielleicht nutzt das BAG die Gelegenheit aber auch, um sich zu der Frage zu äußern und zumindest eine ungefähre Richtung anzudeuten.

Das bedeutet aber nicht, dass auch eine - früher oder später - eingeführte Zeiterfassung à la EuGH keine Bedeutung für Fragen der Vergütungspflicht haben würde. Im Gegenteil: Ein den Vorgaben des EuGH entsprechendes Zeiterfassungssystem muss die Zahl der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie ihre zeitliche Lage und die über die gewöhnliche Arbeitszeit hinausgehende, als "Überstunden" geleistete Arbeitszeit objektiv und verlässlich ermitteln. Aus dem System wird sich somit ergeben müssen, dass und in welchem Umfang Arbeitszeit des jeweiligen Arbeitnehmers angefallen ist sowie dass deren Anfall dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. Dies wird also unweigerlich zu der oben genannten Darlegungs-Erleichterung führen, wenn und soweit das BAG an seiner diesbezüglichen Rechtsprechung festhält. Allerdings ist dies "nur" eine Erleichterung und keine Umkehr der Darlegungslast. Neben den vom BAG genannten wechselseitigen Darlegungen kann vom Arbeitgeber jdf. im Einzelfall auch der Einwand angeführt werden, dass eine vom System erfasste Zeitspanne zwar als Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitschutzrechts, nicht aber als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu qualifizieren sein soll. Dies weitergedacht kann man sich auch bereits bei der Implementierung bzw. Anpassung eines Zeiterfassungssystems der schwierigen Aufgabe stellen, welche Zeiten erfasst werden, falls man wirklich nur Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitschutzrechts erfassen wollen sollte. Dabei muss das Zeiterfassungssystem objektiv, verlässlich und zugänglich sein. Es stellt sich also auch die Frage: Was wird erfasst und wer prüft/entscheidet dies?

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