Arbeitsrecht

Beweispflicht für Überstunden liegt weiter bei Arbeitnehmern

Zuletzt bearbeitet am: 28.03.2024

Erfurt (jur). Bei einem Streit um die Vergütung behaupteter Überstunden sind weiterhin die Arbeitnehmer beweispflichtig. Die EU-rechtliche Pflicht der Arbeitgeber, die Arbeitszeiten vollständig zu erfassen, verschiebt diese deutschen Beweisregeln nicht, urteilte am Mittwoch, 4. Mai 2022, das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (Az.: 5 AZR 359/21).

Es wies damit einen Auslieferungsfahrer eines Einzelhandelsunternehmens in Niedersachsen ab. Vor Beginn seiner Touren stempelte er sich im Zeiterfassungssystem seines Betriebs ein und nach Ende der Tour wieder aus. Anders als für die Beschäftigten vor Ort bestand für ihn unterwegs aber nicht die Möglichkeit, sich für Pausen auszustempeln.

Mit seiner Klage machte er geltend, um die Waren rechtzeitig liefern zu können, habe er ohnehin keinerlei Pausen gemacht. Für die 348 Überstunden, die das Zeiterfassungssystem nach gut sieben Monaten auswies, verlangte er daher eine Vergütung von 5.223 Euro.

Der Arbeitgeber bestritt, dass der Fahrer keine Pausen machen konnte. Überstunden angewiesen habe er nicht.

Nach deutschem Recht muss ein Arbeitgeber nur solche Überstunden bezahlen, die er selbst veranlasst hat. Allerdings hatte am 14. Mai 2019 der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden, dass Arbeitgeber die gesamten Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten erfassen müssen; nur so lasse sich „das Grundrecht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten“ durchsetzen (Az.: C-55/18; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag).

In dem nun vom BAG entschiedenen Fall argumentierte der Auslieferungsfahrer, für ihn habe diese EU-rechtlich vorgeschriebene Zeiterfassung nicht bestanden. Daher verschiebe sich die Beweislast zulasten des Arbeitgebers.

Dem folgte das BAG nicht. Grundlage für das EuGH-Urteil seien EU-Regelungen für den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewesen. Hier gehe es aber um einen Streit um die Vergütung von Überstunden. Darauf wirke sich das Luxemburger Urteil nicht aus.

Um eine Überstundenvergütung zu erstreiten, müssten Arbeitnehmer daher weiterhin nachweisen, „dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat“, urteilte das BAG. Dies sei dem Auslieferungsfahrer nicht gelungen. Daher könne offenbleiben, ob er tatsächlich keinerlei Pausen gemacht hat.

Am 27. Juli 2021 hatte das Landesarbeitsgericht Hamm entschieden, dass Betriebsräte die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung verlangen können (Az.: 7 TaBV 79/20; JurAgentur-Meldung vom 1. September 2021). Hierüber will das BAG am 13. September 2022 entscheiden (Az.: 1 ABR 22/21).

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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