Verkehrsrecht

BGH: Doch nicht 1,1 Promille für alle E-Scooter?!

12.04.2022
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Zuletzt bearbeitet am: 12.04.2022

Doch nicht 1,1 Promille für alle E-Scooter?

Die überwiegene obergerichtliche Rechtsprechung geht derzeit davon aus, dass ab einer Promillegrenze von 1,1 Promille auch beim Fahren mit einem E-Scooter  absolute Fahruntauglichkeit vorliegt. Das bedeutet, dass es ab einem Blutalkoholwert von 1,1 Promille nicht darauf ankommt, ob der Beschuldigte verkehrsbezogene  Ausfallerscheinungen aufgewiesen hat oder nicht (z.B. Schlangenlinien oder ähnliche Fahrfehler).

Konsequenz ist eine Häufung von Urteilen und vorläufigen Fahrerlaubnisentziehungen in diesen Fällen, insbesondere in meinem Tätigkeitsgebiet Saarland und angrenzende Rheinland-Pfalz.

Damit wendet die Rechtsprechung letztlich auf das Fahren mit E-Scootern unterscheidungslos die Promillegrenze für Autofahrer an.

Das dürfte nach einem leider wenig beachteten bzw. missverstandenen Beschluss des Bundesgerichthofs falsch sein.

Der BGH hat die Promillegrenze für E-Scooter nämlich geklärt, ohne sie ausdrücklich zu klären. Nach meiner rechtlichen Einschätzung gilt die 1,1 Promillegrenze zur absoluten Fahruntauglichkeit für E-Scooter nur dann, wenn es sich um fahrerlaubnispflichtige E-Scooter handelt, nicht aber für die, wie üblich fahrerlaubnisfreien E-Scooter der typischen Mietanbieter.

Was hat der BGH also (nicht) entschieden?

Der BGH hatte (unter anderem) über mehrere Trunkenheitsfahrten mit einem E-Scooter zu entscheiden. Der Verurteilte hatte seine Verurteilung durch das Landgericht Hechingen wegen mehrerer Taten – unter anderem Fahren ohne Fahrerlaubnis und mehrere Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern – angegriffen.

 

Zugrunde lag, soweit für die Trunkenheitsfahrt mit E-Scootern von Bedeutung, folgender Sachverhalt:

 

„In den Fällen II.23., II.30., II.31. und II.34. führte der Angeklagte in alkoholisiertem Zustand im öffentlichen Verkehr einen „Elektroroller Sunny-E-Bike“, der ein Versicherungskennzeichen trug und mit dem ohne Einsatz menschlicher Kraft eine Geschwindigkeit von 20 km/h erreicht werden kann. Dabei wies der Angeklagte in zwei Fällen jeweils eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,1 ‰ auf (Fälle II.23. und II.34.).“ (BGH, Beschluss vom 02. März 2021 – 4 StR 366/20 –, juris, Hervorh. d. Unterz.)

 

Der BGH hat das angegriffene Urteil aufgehoben und die Sache ans LG Hechingen zur Aufklärung des Sachverhalts zurückverwiesen.

 

Orientierungssatz nach juris:

 

„In den Fällen II.23. und II.34. (Anmerkung des Unterzeichners: Trunkenheitsfahrten mit mehr als 1,1 Promille, siehe oben) fehlt es an Feststellungen zur fahrzeugtechnischen Einordnung des bei den Fahrten verwendeten Elektrorollers. Dem Senat ist es deshalb verwehrt, anhand der Urteilsgründe zu überprüfen, ob das Landgericht zu Recht den für alkoholisierte Führer von Kraftfahrzeugen als unwiderleglichen Indizwert für die Annahme absoluter Fahrtüchtigkeit entwickelten Grenzwert der Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ (BGH, Beschluss vom 28. Juni 1990 – 4 StR 297/90, BGHSt 37, 89) seiner rechtlichen Bewertung der Taten zugrunde gelegt hat. Zwar ergibt sich aus den Feststellungen noch, dass mit dem Elektroroller ohne menschlichen Kraftaufwand eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h erreicht werden konnte, so dass es sich bei diesem um ein Elektrokleinstfahrzeug im Sinne des § 1 eKFV gehandelt haben könnte. …“

 

Wie der BGH die Rechtslage sieht ergibt sich aus folgendem Satz:

 

„Mangels näherer Feststellungen sowohl zu der Fahrzeugklasse des vom Angeklagten genutzten Elektrorollers als auch zu dessen technischen Merkmalen im Einzelnen vermag der Senat die Rechtsfrage im vorliegenden Fall nicht abschließend zu beantworten.“

(BGH, Beschluss vom 02. März 2021 – 4 StR 366/20 –, Rn. 9, juris)

 

Der BGH hätte die Promillegrenzen also auch ausdrücklich klarstellen können, wenn er den konkreten E-Scooter hätte einordnen können.

 

Er unterscheidet zuvor ausdrücklich zwischen fahrerlaubnispflichtigen Elektrokleinstfahrzeugen nach § 4 S. 1 FEV und solchen, für die keine Fahrerlaubnis benötigt wird, weil die Ausnahmereglung des § 4 S.2  1a FEV i.V.m. § 1 I eKFV (Elektrokleinstfahrzeugeverordnung). Es ergibt sich als Umkehrschluss aus eben diesem Zurückweisungsgrund, dass der BGH die Frage, welche Promillegrenze für E-Scooter gilt, vorliegend ging es um die 1,1 Promillegrenze, ausdrücklich beantwortet hätte, wenn er den E-Scooter hätte einordnen können.

 

Daraus kann logisch zwingend nur ein Schluss gezogen werden, nämlich dass aus Sicht des BGH die 1,1-Promillegrenze zur absoluten Fahruntauglichkeit nur für solche E-Scooter gilt, auf die die Ausnahme von der Fahrerlaubnispflicht der eKFV nicht anwendbar ist, sprich für fahrerlaubnispflichtige E-Scooter.

 

Ansonsten köme es auf diese Unterscheidung nicht an. Der BGH hätte sonst offen lassen können, wie der E-Scooter einzuordnen ist, sprich fahrerlaubnispflichtig oder nicht.

 

Der Beschluss lässt nach meiner Auffassung nur eine Auslegung zu:

Die 1,1-Promillegrenze zur absoluten Fahruntauglichkeit gilt nur für solche E-Scooter, die fahrerlaubnispflichtig sind. Ich meine, dass vieles dafür spricht, dass der BGH auf die fahrerlaubnisfreien E-Scooter die 1,6 Promillegrenze, analog zum Fahrradfahrer, anwenden wird.

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Dominik Weiser
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