Sozialrecht

Heimvertrag für behindertes Kind auch rückwirkend möglich

Zuletzt bearbeitet am: 13.02.2024

Stuttgart (jur). Die Kostenübernahme einer erforderlichen Heimunterbringung für ein schwerstbehindertes Kind darf nicht an einem rückwirkend geschlossenen Heimvertrag scheitern. Aus dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz ergibt sich kein Verbot des rückwirkenden Vertragsschlusses, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 16. Februar 2022 (Az.: L 2 SO 2228/20). Damit sei die Sozialhilfe als Eingliederungshilfeträger leistungspflichtig.

Im Streitfall ging es um einen 2010 geborenes Kind, welches infolge einer Hirnschädigung epileptische Anfälle erlitt. Der Junge konnte nicht laufen und benötigte intensive Betreuung und Pflege. Die Mutter war nach jahrelanger Pflege selbst am Ende ihrer Kräfte und war erkrankt. Der Vater konnte wegen seiner Multiplen Sklerose-Erkrankung nicht die Pflege und Betreuung übernehmen.

Die Eltern beantragten daher 2015 beim zuständigen Eingliederungshilfeträger die Kostenübernahme für ein Internat in einer Förderschule. Die Behörde lehnte ab, so dass es zum jahrelangen Rechtsstreit kam. 2016 kam der Sohn trotz der nicht ganz geklärten Kostenübernahme in das Internat. Der Heimvertrag wurde erst zwei Jahre später geschlossen, allerdings rückwirkend ab dem Tag der erstmaligen Unterbringung.

Nachdem das Sozialgericht Reutlingen die Erforderlichkeit der Schulinternatsunterbringung festgestellt hatte, wehrte sich der Sozialhilfeträger dagegen, bereits ab Ende Juli 2016 die Unterbringungskosten zu übernehmen. Denn der Heimvertrag sei schriftlich erst zwei Jahre später geschlossen worden. Für die Zeit 28. Juli 2016 bis 9. Juli 2018 fehle es an einer vertraglichen Grundlage für eine Kostenübernahme gefehlt.

Doch das LSG hatte keine Bedenken gegen den rückwirkenden Vertragsschluss. Aus dem Wohn- und Betreuungsgesetz ergebe sich kein entsprechendes Verbot. Da der Heimvertrag ab der tatsächlichen Unterbringung abgeschlossen wurde, erfasse er den gesamten Zeitraum der Unterbringung.

Hier sei die Unterbringung auch erforderlich gewesen. Der Eingliederungshilfeträger sei daher verpflichtet, ab Ende 2016 Eingliederungsleistungen für die stationäre Unterbringung zu zahlen. Dies umfasse täglich 155,63 Euro für die Unterbringung, 0,92 Euro täglich für die Schulbegleitung, einen Barbedarf von 10,50 Euro monatlich sowie für zusätzliche Öffnungstage täglich 71,98 Euro. Die Beträge stiegen zudem ab Mai 2018 etwas.

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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