Arbeitsrecht

Massenentlassungen auch ohne Angaben zu Alter und Geschlecht

Zuletzt bearbeitet am: 05.01.2024

Erfurt (jur). Eine Massenentlassungsanzeige an die Bundesagentur für Arbeit muss nicht zwingend auch Angaben über Beruf, Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer enthalten. Sie ist auch ohne diese Angaben wirksam, urteilte am Donnerstag, 19. Mai 2022, das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (Az.: 2 AZR 467/21). Es hob damit ein gegenteiliges Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) auf und beendete die durch dieses Urteil ausgelöste Rechtsunsicherheit.

Laut Kündigungsschutzgesetz müssen Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten die Arbeitsagentur über Massenentlassungen informieren. Was als Massenentlassung gilt, hängt von der Zahl der Beschäftigten im jeweiligen Betrieb ab. In kleineren Betrieben mit 21 bis 59 Beschäftigten reicht die Entlassung von mindestens sechs Arbeitnehmern, danach sind es zehn Prozent oder 25 Arbeitnehmer, ab 500 Beschäftigten im Betrieb dann die Entlassung von mindestens 30 Arbeitnehmern, jeweils innerhalb von 30 Tagen.

Dabei „muss“ diese Massenentlassungsanzeige über die Gründe der Entlassungen informieren, zudem unter anderem die betroffenen Berufsgruppen und die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer. Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat „sollen“ auch Angaben zu Beruf, Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden. Der Betriebsrat muss eine Kopie und die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Im Streitfall hatte der Arbeitgeber in einem Betrieb mit weniger als 60 Mitarbeitern 2019 17 Beschäftigte entlassen. Die Klägerin meinte, ihre Kündigung sei nichtig, weil in der Massenentlassungsanzeige des Arbeitgebers die sogenannten „Soll-Angaben“ fehlten. In diesem und einem weiteren Fall war das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) in Frankfurt am Main dem noch gefolgt; nach EU-Recht müssten Arbeitgeber die Soll-Angaben zumindest bis zur Kündigung nachholen (Urteil vom 19. Mai 2022, Az.: 2 AZR 467/21; veröffentlichter Parallelfall: Urteil vom 25. Juni 2021, Az.: 14 Sa 1225/20). 

Doch „das Fehlen der sogenannten Soll-Angaben (…) führt für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige des Arbeitgebers gegenüber der Agentur für Arbeit“, urteilte nun das BAG. Es hob beide Urteile auf und verwies die Fälle zur weiteren Prüfung an das LAG Frankfurt zurück.

Zur Begründung verwiesen die Erfurter Richter auf den klaren Wortlaut und den sich daraus ergebenden „eindeutigen Willen des Gesetzgebers“. Über diesen dürften sich die Arbeitsgerichte auch unter Verweis auf EU-Recht nicht hinwegsetzen. Zudem habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg bereits geklärt, dass auch nach EU-Recht diese Angaben in einer Massenentlassungsanzeige nicht zwingend enthalten sein müssen.

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

Symbolgrafik:© Zerbor - stock.adobe.com

Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor





Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Arbeitsrecht Ergonomischer Büroarbeitsplatz mit Merkblatt

Der Begriff "Büroarbeitsplatz" bezieht sich auf die Gesamtheit aller Elemente und Bedingungen, die in einem Büroumfeld zur Durchführung von Arbeitsaufgaben erforderlich sind. Hierzu zählen insbesondere Arbeitsmittel wie Schreibtisch und Bürostuhl, die gemäß den Anforderungen des Arbeitsschutzes ergonomisch gestaltet sein müssen, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden und die Arbeitsleistung zu steigern. Rechtliche Grundlagen für Büroarbeitsplätze Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und die Bildschirmarbeitsverordnung bilden die rechtliche Basis für die Gestaltung von Büro- und Bildschirmarbeitsplätzen in ... weiter lesen

Arbeitsrecht Arbeitsgericht Siegburg urteilt: Keine Diskriminierung bei Nichteinstellung aus gesundheitlichen Gründen

Das Arbeitsgericht Siegburg hat in einem Fall, in dem es um die Rücknahme einer Einstellungszusage für einen schwerbehinderten Bewerber ging, entschieden. Im Mittelpunkt der Verhandlung stand die Frage, ob die Nichteinstellung aufgrund eines ärztlichen Gutachtens eine Diskriminierung darstellt (Az.: 3 Ca 1654/23 ). Stadt zieht Jobzusage an diabetischen Bewerber zurück – Klage wegen Diskriminierung Ein schwerbehinderter Bewerber, der an Diabetes leidet, bewarb sich Anfang 2023 bei einer Stadtverwaltung für eine Ausbildung zum Straßenwärter. Seine Schwerbehinderung gab er dabei offen an. Er erhielt eine vorläufige Zusage, die jedoch von den Ergebnissen einer ... weiter lesen

Arbeitsrecht Nebenbeschäftigung durch Detektei aufgedeckt – was Arbeitgeber jetzt beachten müssen

Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und -geber ist wichtig, Vertrauen allein reicht aber oft nicht aus. Zu den häufigsten Zwischenfällen gehört die Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit durch den Arbeitnehmer. Grundsätzlich ist der Hauptarbeitgeber verpflichtet, einen Nebenjob zu gewähren, sofern die eigenen Interessen davon nicht betroffen sind. So muss der Arbeitnehmer weiterhin mit seiner vollen Arbeitskraft verfügbar sein und darf nicht in konkurrierenden Betrieben arbeiten. Heimlich ausgeführt ist eine Nebentätigkeit nicht erlaubt. Die Aufdeckung erfolgt regelmäßig durch erfahrene Wirtschaftsdetektive, aber was passiert dann?  ... weiter lesen

Arbeitsrecht Verwaltungsgericht Hannover bestätigt Entlassung von Polizeikommissar-Anwärterin

Ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover (Az. 2 B 512/24; 2 A 5953/23 ) bekräftigt die Entlassung einer Polizeikommissar-Anwärterin aufgrund ihrer polizeikritischen Äußerungen in sozialen Netzwerken. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Neutralität und des Mäßigungsgebots im Beamtenverhältnis. Polizeianwärterin wegen kritischer Äußerungen in sozialen Medien entlassen Im Zentrum des Rechtsstreits stand eine angehende Polizeikommissarin, gegen die die Niedersächsische Polizeiakademie eine Entlassungsverfügung erließ. Ausschlaggebend waren diverse Äußerungen in sozialen Medien, die als kritisch gegenüber der Polizei ... weiter lesen

Ihre Spezialisten