Sozialrecht

Unfallschutz für unbezahltes „Kennenlernpraktikum“ möglich

Zuletzt bearbeitet am: 09.02.2024

Kassel (jur). Für einen Unfall während eines unbezahlten eintägigen „Kennenlern-Praktikums“ einer Arbeitsplatzbewerberin kann die gesetzliche Unfallversicherung mitunter aufkommen. Voraussetzung für den Unfallschutz ist aber, dass der Unfallversicherungsträger dies in seiner Satzung so auch vorsieht, urteilte am Donnerstag, 31. März 2022, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 2 U 13/20 R).

Im Streitfall ging es um eine arbeitslose Frau aus Augsburg. Diese hatte sich auf eigene Initiative auf eine Stelle als IT-Administrator/Operator beworben. Das Unternehmen wollte sie näher kennenlernen und schloss mit ihr am 18. April 2017 eine „Kennenlern-/Praktikumsvereinbarung“. Danach sollte sie unbezahlt an einem Tag in dem Unternehmen ein Praktikum absolvieren. Es waren Fachgespräche mit der IT-Abteilung und auch eine Betriebsführung, unter anderem eine Besichtigung des Hochregallagers, vorgesehen.

Doch bei der Besichtigung des Lagers stürzte die Frau und brach sich den rechten Oberarm. Sie konnte später die Stelle ergattern, wollte aber den Unfall von der Berufsgenossenschaft (BG) Holz und Metall als versicherten Arbeitsunfall anerkannt haben. 

Doch die BG lehnte ab. Es habe kein versichertes Arbeitsverhältnis vorgelegen. Auch sei die Frau nicht als versicherte sogenannte „Wie-Beschäftigte“ anzusehen. Danach könnten zwar Personen, die „wie“ eine Beschäftigte tätig sind, unter Versicherungsschutz stehen. Voraussetzung hierfür sei aber, dass die Tätigkeit von „wirtschaftlichem Wert“ für den Arbeitgeber sei. Der Zweck des eintägigen Praktikums habe aber nur im Kennenlernen bestanden.

Die beigeladene Unfallversicherung Bund und Bahn, die für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz für Arbeitslose zuständig ist, lehnte ebenfalls einen Unfallschutz ab. Dieser greife nur bei Arbeitsuchenden, die nach Aufforderung der Arbeitsagentur bei einem Arbeitgeber vorstellig werden. Hier habe sich die Frau jedoch auf eigene Initiative beworben.

Die Frau zog daraufhin vor Gericht. Ihre Anwältin argumentierte, dass durchaus eine „Wie-Beschäftigung“ vorgelegen habe. Es seien schließlich in der Praktikumsvereinbarung Regelungen getroffen worden, die auch im Arbeitsvertrag üblich sind. Es liege zudem ein „wirtschaftlicher Wert“ vor, weil der Arbeitgeber mit dem Praktikum eine verbesserte Personalauswahl treffen könne.

Das BSG stufte den Sturz als versicherten Arbeitsunfall ein. Allerdings lag wegen eines fehlenden Gehalts kein versichertes Arbeitsverhältnis vor. Auch eine versicherte sogenannte „Wie-Beschäftigung“ habe nicht bestanden, da die Klägerin während ihres Praktikums für den Arbeitgeber nichts von wirtschaftlichem Wert geschaffen habe.

Allerdings ergebe sich der Unfallversicherungsschutz aus der Satzung der BG. Denn danach bestehe für die Teilnahme an der Besichtigung des Unternehmens Unfallschutz. Davon würden auch Stellenbewerber erfasst, soweit sie das Unternehmen besichtigen. Maßgeblich sei hier die letzte Tätigkeit vor dem Unfall. Dass die Lagerbesichtigung im Rahmen eines Kennenlern-Praktikums stattfand, spiele dagegen keine Rolle.

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

Symbolgrafik:© DOC RABE Media - stock.adobe.com

Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor





Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Sozialrecht Bundessozialgericht bestätigt: Keine Diskriminierung von Vätern bei Rentenpunkten

Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass die automatische Zuordnung von Kindererziehungszeiten zu Müttern in der Rentenversicherung keine Diskriminierung von Männern darstellt (Az.: B 5 R 10/23 R ). Bundessozialgericht prüft Väter-Diskriminierung bei Kindererziehungszeiten Die standardmäßige Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei der Mutter, wenn keine Einigung zwischen den Eltern erfolgt, wurde vom Bundessozialgericht überprüft. In diesem Fall befasste sich der 5. Senat mit der Frage, ob eine solche Regelung, wie sie in § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI festgehalten ist, eine verfassungswidrige Benachteiligung von Vätern darstellt. Diese gesetzliche ... weiter lesen

Sozialrecht Verwaltungsgericht Aachen: Hautkrebs eines Polizisten keine Berufskrankheit

Das Verwaltungsgericht Aachen hat in seinem Urteil (Az.: 1 K 2399/23 ) die Hautkrebserkrankung eines ehemaligen Polizisten nicht als Berufskrankheit anerkannt. Polizist fordert Anerkennung von Hautkrebs als Berufskrankheit Ein langjähriger Polizeibeamter, der nahezu sein ganzes Berufsleben im Streifendienst verbrachte, forderte die Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit. Der Betroffene argumentierte, während seiner fast 46 Dienstjahre hauptsächlich im Freien tätig gewesen zu sein, ohne dass ihm Schutzmittel gegen UV-Strahlung zur Verfügung gestellt wurden oder auf die Wichtigkeit solcher Schutzmaßnahmen hingewiesen wurde. Aufgrund ... weiter lesen

Sozialrecht LSG-Urteil: Einzelfahrten von Fahrtrainern als Arbeitsunfall anerkannt

Im aktuellen Fall des Landessozialgerichts Baden-Württemberg wurde entschieden, dass die Erkundungsfahrt eines Fahrtrainers als Arbeitsunfall gilt (Az.: L 8 U 3350/22 ). Fahrtrainer-Unfall auf Erkundungsfahrt: Streit um Arbeitsunfall Ein selbständiger Motorrad-Fahrtrainer verletzte sich schwer, als er allein auf Erkundungsfahrt für ein bevorstehendes Training stürzte. Der Unfall ereignete sich 50 km entfernt von seinem Zuhause. Er argumentierte, dass die Fahrt zur Vorbereitung auf ein spezielles Training notwendig war, um die Straßenverhältnisse zu prüfen. Seine Unfallversicherung lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, da sie die Fahrt als private ... weiter lesen

Sozialrecht Landessozialgericht entscheidet: Kein Unfallversicherungsschutz auf indirektem Arbeitsweg

Im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg wurde der Fall einer Klägerin behandelt, die auf einem Umweg zur Arbeit verunfallte und daher keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung hatte (Az.  L 10 U 3232/21 ). Mutter nach Umweg-Unfall ohne Versicherungsschutz Eine Frau begleitete ihre Tochter auf dem Schulweg zu einem Treffpunkt, der entgegengesetzt zu ihrer Arbeitsstelle lag. Nach diesem Umweg ereignete sich auf dem Weg zur Arbeit, jedoch noch vor dem Erreichen der direkten Route von ihrer Wohnung aus, ein Unfall, bei dem sie schwer verletzt wurde. Die gesetzliche Unfallversicherung lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ... weiter lesen

Ihre Spezialisten