Erfurt (jur). Urlaubstage dürfen nicht zum Verlust tariflicher Mehrarbeitszuschläge führen. Andernfalls würden Arbeitnehmer davon abgehalten, den ihnen zustehenden Urlaub zu nehmen, urteilte am Mittwoch, 16. November 2022, das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zu tariflichen Regelungen für Leiharbeitnehmer (Az.: 10 AZR 210/19).
Der Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit sieht in seiner Fassung vom 17. September 2013 Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 25 Prozent vor. Hierfür muss pro Kalendermonat ein festgelegter Schwellenwert an geleisteten Arbeitsstunden überschritten worden sein.
So musste im Streitmonat August 2017 ein Arbeitnehmer an den 23 Arbeitstagen mehr als 184 Stunden arbeiten, um einen Zuschlag erhalten zu können.
Der klagende Leiharbeiter aus dem Raum Dortmund hatte allerdings in dem Monat zehn Tage Urlaub genommen. An den verbliebenen 13 Tagen arbeitete der Beschäftigte 121,75 Stunden, durchschnittlich über neun Stunden je Arbeitstag. Weil die monatliche Arbeitszeit wegen des Urlaubs deutlich unter der Schwelle von 184 Stunden lag, erhielt er keine Mehrarbeitszuschläge.
Das BAG legte das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung vor. Die Luxemburger Richter urteilten am 13. Januar 2022, dass Urlaubstage nicht zu einer Kürzung oder gar zum Wegfall von Mehrarbeitszuschlägen führen dürfen (Az.: C-514/20; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Arbeitnehmer könnten sonst dazu verleitet werden, in Monaten, in denen sie Mehrarbeit geleistet haben, den ihnen zustehenden Urlaub nicht zu nehmen. Dies sei mit dem Ziel des EU-Rechts, die Ruhezeiten zu sichern und die Gesundheit zu schützen, nicht zu vereinbaren.
Daraufhin gab nun das BAG dem klagenden Leiharbeiter recht. Die tarifliche Bestimmung zu den Mehrarbeitszuschlägen müsse bei gesetzeskonformer Auslegung so verstanden werden, „dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern auch Urlaubsstunden mitzählen“, ob der maßgebliche tarifliche Schwellenwert überschritten werde. Anderenfalls könnte der Arbeitnehmer davon abgehalten werden, seinen gesetzlichen Mindesturlaub zu nehmen. Dies wäre mit einer EU-konformen Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes nicht vereinbar.
Im Streitfall hatte der Leiharbeitnehmer 121,75 Stunden gearbeitet, weitere 84,7 Stunden muss der Arbeitgeber nun für den Urlaub anrechnen. Mit zusammen 206,45 Stunden ist die im Streitmonat geltende Schwelle von 184 Stunden um 22,45 Stunden überschritten, für die der Arbeitgeber nun den Mehrarbeitszuschlag zahlen muss.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock