Arbeitsrecht

Urlaub darf nicht zum Wegfall von Mehrarbeitszuschlägen führen

Zuletzt bearbeitet am: 11.04.2024

Erfurt (jur). Urlaubstage dürfen nicht zum Verlust tariflicher Mehrarbeitszuschläge führen. Andernfalls würden Arbeitnehmer davon abgehalten, den ihnen zustehenden Urlaub zu nehmen, urteilte am Mittwoch, 16. November 2022, das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zu tariflichen Regelungen für Leiharbeitnehmer (Az.: 10 AZR 210/19). 

Der Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit sieht in seiner Fassung vom 17. September 2013 Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 25 Prozent vor. Hierfür muss pro Kalendermonat ein festgelegter Schwellenwert an geleisteten Arbeitsstunden überschritten worden sein. 

So musste im Streitmonat August 2017 ein Arbeitnehmer an den 23 Arbeitstagen mehr als 184 Stunden arbeiten, um einen Zuschlag erhalten zu können. 

Der klagende Leiharbeiter aus dem Raum Dortmund hatte allerdings in dem Monat zehn Tage Urlaub genommen. An den verbliebenen 13 Tagen arbeitete der Beschäftigte 121,75 Stunden, durchschnittlich über neun Stunden je Arbeitstag. Weil die monatliche Arbeitszeit wegen des Urlaubs deutlich unter der Schwelle von 184 Stunden lag, erhielt er keine Mehrarbeitszuschläge. 

Das BAG legte das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung vor. Die Luxemburger Richter urteilten am 13. Januar 2022, dass Urlaubstage nicht zu einer Kürzung oder gar zum Wegfall von Mehrarbeitszuschlägen führen dürfen (Az.: C-514/20; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Arbeitnehmer könnten sonst dazu verleitet werden, in Monaten, in denen sie Mehrarbeit geleistet haben, den ihnen zustehenden Urlaub nicht zu nehmen. Dies sei mit dem Ziel des EU-Rechts, die Ruhezeiten zu sichern und die Gesundheit zu schützen, nicht zu vereinbaren. 

Daraufhin gab nun das BAG dem klagenden Leiharbeiter recht. Die tarifliche Bestimmung zu den Mehrarbeitszuschlägen müsse bei gesetzeskonformer Auslegung so verstanden werden, „dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern auch Urlaubsstunden mitzählen“, ob der maßgebliche tarifliche Schwellenwert überschritten werde. Anderenfalls könnte der Arbeitnehmer davon abgehalten werden, seinen gesetzlichen Mindesturlaub zu nehmen. Dies wäre mit einer EU-konformen Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes nicht vereinbar. 

Im Streitfall hatte der Leiharbeitnehmer 121,75 Stunden gearbeitet, weitere 84,7 Stunden muss der Arbeitgeber nun für den Urlaub anrechnen. Mit zusammen 206,45  Stunden ist die im Streitmonat geltende Schwelle von 184 Stunden um 22,45 Stunden überschritten, für die der Arbeitgeber nun den Mehrarbeitszuschlag zahlen muss. 

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

Symbolgrafik:© Zerbor - stock.adobe.com

Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor





Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Arbeitsrecht Ergonomischer Büroarbeitsplatz mit Merkblatt

Der Begriff "Büroarbeitsplatz" bezieht sich auf die Gesamtheit aller Elemente und Bedingungen, die in einem Büroumfeld zur Durchführung von Arbeitsaufgaben erforderlich sind. Hierzu zählen insbesondere Arbeitsmittel wie Schreibtisch und Bürostuhl, die gemäß den Anforderungen des Arbeitsschutzes ergonomisch gestaltet sein müssen, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden und die Arbeitsleistung zu steigern. Rechtliche Grundlagen für Büroarbeitsplätze Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und die Bildschirmarbeitsverordnung bilden die rechtliche Basis für die Gestaltung von Büro- und Bildschirmarbeitsplätzen in ... weiter lesen

Arbeitsrecht Arbeitsgericht Siegburg urteilt: Keine Diskriminierung bei Nichteinstellung aus gesundheitlichen Gründen

Das Arbeitsgericht Siegburg hat in einem Fall, in dem es um die Rücknahme einer Einstellungszusage für einen schwerbehinderten Bewerber ging, entschieden. Im Mittelpunkt der Verhandlung stand die Frage, ob die Nichteinstellung aufgrund eines ärztlichen Gutachtens eine Diskriminierung darstellt (Az.: 3 Ca 1654/23 ). Stadt zieht Jobzusage an diabetischen Bewerber zurück – Klage wegen Diskriminierung Ein schwerbehinderter Bewerber, der an Diabetes leidet, bewarb sich Anfang 2023 bei einer Stadtverwaltung für eine Ausbildung zum Straßenwärter. Seine Schwerbehinderung gab er dabei offen an. Er erhielt eine vorläufige Zusage, die jedoch von den Ergebnissen einer ... weiter lesen

Arbeitsrecht Nebenbeschäftigung durch Detektei aufgedeckt – was Arbeitgeber jetzt beachten müssen

Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und -geber ist wichtig, Vertrauen allein reicht aber oft nicht aus. Zu den häufigsten Zwischenfällen gehört die Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit durch den Arbeitnehmer. Grundsätzlich ist der Hauptarbeitgeber verpflichtet, einen Nebenjob zu gewähren, sofern die eigenen Interessen davon nicht betroffen sind. So muss der Arbeitnehmer weiterhin mit seiner vollen Arbeitskraft verfügbar sein und darf nicht in konkurrierenden Betrieben arbeiten. Heimlich ausgeführt ist eine Nebentätigkeit nicht erlaubt. Die Aufdeckung erfolgt regelmäßig durch erfahrene Wirtschaftsdetektive, aber was passiert dann?  ... weiter lesen

Arbeitsrecht Verwaltungsgericht Hannover bestätigt Entlassung von Polizeikommissar-Anwärterin

Ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover (Az. 2 B 512/24; 2 A 5953/23 ) bekräftigt die Entlassung einer Polizeikommissar-Anwärterin aufgrund ihrer polizeikritischen Äußerungen in sozialen Netzwerken. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Neutralität und des Mäßigungsgebots im Beamtenverhältnis. Polizeianwärterin wegen kritischer Äußerungen in sozialen Medien entlassen Im Zentrum des Rechtsstreits stand eine angehende Polizeikommissarin, gegen die die Niedersächsische Polizeiakademie eine Entlassungsverfügung erließ. Ausschlaggebend waren diverse Äußerungen in sozialen Medien, die als kritisch gegenüber der Polizei ... weiter lesen

Ihre Spezialisten