Dringender Tatverdacht und dessen Folgen im Strafprozess

Von fachanwalt.de-Redaktion, letzte Bearbeitung am: 2. Dezember 2023

Im Strafrecht wird zwischen drei Stufen des Verdachts unterschieden; einer davon ist der dringende Tatverdacht, mit dem sich Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte in der täglichen Praxis befassen müssen. Dieser liegt vor, wenn die große Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass der Beschuldigte tatsächlich die Straftat begangen hat.

Dringender Tatverdacht - Definition

Von einem dringenden Tatverdacht spricht man, wenn durch Ermittlungsergebnisse gewonnene bestimmte Tatsachen vorliegen, durch die eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat, ob nun als Täter oder Teilnehmer.

Ein dringender Tatverdacht muss vorliegen, damit Untersuchungshaft nach § 112 Absatz 1 StPO angeordnet werden kann. In § 112 Absatz 1 Satz 1 StPO heißt es: „Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht.“

Dringender Tatverdacht (© Thomas / fotolia.com)
Dringender Tatverdacht (© Thomas / fotolia.com)
Bei einem dringenden Tatverdacht kann weiterhin eine vorläufige Festnahme nach § 127 Absatz 2 StPO erfolgen: „Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.“

Abgrenzung zu Anfangsverdacht und hinreichender Tatverdacht

Der dringende Tatverdacht ist stets abzugrenzen vom sogenannten Anfangsverdacht und dem hinreichenden Tatverdacht.

Beim Anfangsverdacht liegen derart viele verdichtende Momente vor, dass die Ermittlungsbehörde Verfahrenshandlungen im Sinne der StPO vornimmt. § 152 Absatz 2 StPO sagt hierzu zur Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft: „Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.“

Liegt also ein Anfangsverdacht vor, ist die Staatsanwaltschaft dazu verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die kriminalistische Erfahrung muss es möglich erscheinen lassen, dass tatsächlich eine verfolgbare Tat vorliegt.

Der Anfangsverdacht unterscheidet sich somit von der bloßen Vermutung. Soll öffentliche Klage nach § 170 Absatz 1 StPO erhoben werden, muss hingegen ein hinreichender Tatverdacht vorliegen.

Davon kann ausgegangen werden, wenn die vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung den eines Freispruchs überwiegt. § 203 StPO sagt hierzu: „Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.“

Der dringende Tatverdacht ist also Voraussetzung dafür, dass das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zulässt. Während der dringende Tatverdacht auf die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung abstellt, kommt es beim hinreichenden Tatverdacht hingegen somit auf die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung an.

Dringender Tatverdacht - Voraussetzungen

Es gibt bestimmte Maßnahmen im Strafverfahren, deren Einleitung von dem Vorliegen eines dringenden Tatverdachts abhängen. Hierzu gehört der Haftbefehl für die Untersuchungshaft nach § 112 Absatz 2 StPO.

Zusätzlich zum dringenden Tatverdacht ist weiterhin ein Haftgrund gefordert, damit Untersuchungshaft angeordnet werden kann. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn:

  • von Fluchtgefahr ausgegangen werden kann
  • besteht
  • zu befürchten ist
  • der Verdacht eines Kapitaldelikts besteht
Strafverteidiger-Tipp: Der Haftbefehl muss gemäß § 114 StPO immer schriftlich erfolgen!

Der dringende Tatverdacht hat von allen drei Verdachtsformen die höchste Intensität. Oftmals werden Haftbefehle schon zu Beginn der Ermittlungen erlassen. So kann es sein, dass sich im weiteren Verlauf des Strafverfahrens der Verdachtsgrad ändert und der dringende Tatverdacht wieder wegfällt. Die Untersuchungshaft ist dann wieder aufzuheben, wie es § 120 StPO vorsieht.

In § 127 StPO wird die vorläufige Festnahme geregelt. Bei dieser handelt es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person. § 127 StPO erteilt die Befugnis für die vorläufige Festnahme. Zum einen gibt es § 127 Absatz 1 StPO, der einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund darstellt: „Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtigt ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.“

Strafverteidiger-Tipp: Unter bestimmten Voraussetzungen ist also „jedermann“ dazu berechtigt, eine Person festzuhalten, somit nicht allein nur die Polizei!

In § 127 Absatz 2 StPO wird hingegen die vorläufige Festnahme durch die Polizei bei Gefahr im Verzug geregelt. Bei der vorläufigen Festnahme ist die Festnahme zeitlich begrenzt. Daher wird der Festgenommene unverzüglich, jedoch spätestens am Tag nach der Festnahme einem Richter vorgeführt. Durch den Richter werden dann die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls geprüft, wozu der dringende Tatverdacht sowie ein Haftgrund gehören.

Dringend tatverdächtig – was nun?

Wer verhaftet wurde, hat einen Anspruch auf einen Anwalt, unabhängig von der eigenen finanziellen Situation. Daher sollte man sich dringend an einen Fachanwalt für Strafrecht wenden, der überprüfen wird, ob der Haftbefehl aufgehoben oder wenigstens außer Vollzug gesetzt werden kann.

Nicht selten werden Haftbefehle vorschnell oder rechtlich falsch erlassen, was durch den Anwalt zu überprüfen ist. Beispielsweise kann nicht ausreichend begründet worden sein, worauf sich der dringende Tatverdacht eigentlich stützt. Mit einem Anwalt kann auch besprochen werden, welche Angaben gegenüber der Polizei zu machen sind.

Dringender Tatverdacht - Häufige Fragen (FAQ)

Was ist ein dringender Tatverdacht und welche Bedeutung hat er im deutschen Rechtssystem?

Ein dringender Tatverdacht besteht, wenn aufgrund der vorhandenen Beweismittel eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass eine Person eine Straftat begangen hat. In der deutschen Rechtsordnung spielt der dringende Tatverdacht eine wichtige Rolle, insbesondere im Strafprozessrecht und bei der Anordnung von Haftbefehlen oder anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen.

Gemäß § 112 Abs. 1 StPO (Strafprozessordnung) ist ein dringender Tatverdacht die Voraussetzung für die Anordnung eines Haftbefehls gegen eine Person. Darüber hinaus kann ein dringender Tatverdacht auch Grundlage für andere strafprozessuale Maßnahmen sein, wie zum Beispiel die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO oder die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen gemäß § 102 StPO.

Beispiel: Eine Person wird dabei beobachtet, wie sie ein Auto aufbricht und Gegenstände aus dem Fahrzeug entwendet. Die Polizei findet bei der Durchsuchung der Person die entwendeten Gegenstände und das passende Werkzeug zum Aufbrechen von Autos. In diesem Fall liegt ein dringender Tatverdacht vor, der die Anordnung eines Haftbefehls rechtfertigen kann.

Wie wird der Grad des Verdachts im deutschen Recht unterschieden?

Im deutschen Recht gibt es verschiedene Grade des Verdachts, die für unterschiedliche strafprozessuale Maßnahmen relevant sind.

Dabei unterscheidet man zwischen leichtem, hinreichendem und dringendem Tatverdacht.

  1. Leichter Tatverdacht: Ein leichter Tatverdacht liegt vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Person eine Straftat begangen hat. Dies reicht in der Regel nicht aus, um weitreichende strafprozessuale Maßnahmen zu rechtfertigen.
  2. Hinreichender Tatverdacht: Ein hinreichender Tatverdacht besteht, wenn aufgrund der vorhandenen Beweismittel eine Verurteilung der Person als wahrscheinlicher als ein Freispruch erscheint. Der hinreichende Tatverdacht ist gemäß § 203 StPO die Voraussetzung für die Eröffnung des Hauptverfahrens vor Gericht.
  3. Dringender Tatverdacht: Wie bereits erwähnt, liegt ein dringender Tatverdacht vor, wenn die Beweislage so beschaffen ist, dass es als sehr wahrscheinlich erscheint, dass die Person die Straftat begangen hat. Dies ist die Voraussetzung für die Anordnung eines Haftbefehls oder anderer freiheitsentziehender Maßnahmen.

Welche Beweismittel sind für die Beurteilung eines dringenden Tatverdachts relevant?

Die Beurteilung eines dringenden Tatverdachts basiert auf den im Einzelfall verfügbaren Beweismitteln, wie zum Beispiel Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Urkunden, Aufzeichnungen oder Spuren. Die Beweismittel müssen so beschaffen sein, dass sie die Annahme eines dringenden Tatverdachts rechtfertigen.

  • Zeugenaussagen: Aussagen von Personen, die die Tat beobachtet oder sonstige relevante Informationen zur Verfügung stellen können.
  • Sachverständigengutachten: Gutachten von Experten, die zu bestimmten Aspekten des Falles Stellung nehmen, wie zum Beispiel medizinische oder technische Fragestellungen.
  • Urkunden: Schriftstücke oder andere Dokumente, die für den Fall relevant sein können.
  • Aufzeichnungen: Audio- oder Videoaufnahmen, die die Tat oder den Tathergang dokumentieren.
  • Spuren: Spuren, die am Tatort oder bei der verdächtigen Person gefunden werden, wie zum Beispiel Fingerabdrücke, DNA-Spuren oder Gegenstände, die im Zusammenhang mit der Tat stehen.

Beispiel: In einem Mordfall gibt es eine Zeugenaussage, die den Verdächtigen am Tatort gesehen hat, DNA-Spuren, die den Verdächtigen belasten, und ein Sachverständigengutachten, das bestätigt, dass der Verdächtige Zugang zu der Tatwaffe hatte. In diesem Fall liegen ausreichende Beweismittel vor, um einen dringenden Tatverdacht zu begründen.


Noch keine Bewertungen vorhanden




Ihre Spezialisten
INHALTSVERZEICHNIS

TOOLS
TOP LINKS

Gratis-eBook „Fachanwalt finden“


Alle Infos zur Fachanwaltssuche!
Informationen und Tipps zur Fachanwaltssuche!

  • Was ist ein Fachanwalt?
  • Wichtige Infos zu Anwaltskosten, Beratungshilfe!
  • Kostenlos als PDF-Download